Montag, 1. Juni 2015

Ein Bürgerbüro ist kein Gebäude. Ein Bürgerbüro ist ein Prinzip.



Irgendwann verriet sich der NBM (Nochbürgermeister) dann doch. Seitdem das Schreckenswort „Bürgerbüro“ in Limburg das erste Mal geflüstert wurde, wehrte sich Martin R. bellend und beißend gegen die Einrichtung eines solchen. Alle Limburger seien mit ihrer perfekten Verwaltung glücklich, hieß es immer von seiner Seite. So etwas „braucht man nicht“.
Als nun im zuständigen Ausschuss von einigen Seiten hartnäckig nachgefragt wurde, warum jetzt auf einmal eine solche Vorlage käme, wenn der Bürgermeister doch immer dagegen gewesen sei, konnte der NBM dann doch nicht aus seiner Haut. „Ich bin immer noch dagegen“ knurrte er dem Vernehmen nach.
Die eine Gewählte, die unlängst im Rahmen der Inthronisierung des neuen Stadtverordnetenvorstehers die Messlatte für politisches Kabarett auf Weltrekordhöhe gelegt hatte, sprach daraufhin sehr laut das aus, was diejenigen dachten, die nicht Parteianhänger oder unlängst assoziiertes, grünes Stimmenbeschaffungspotential sind: „Also ist das alles nur Wahlkampf.“
Hier Büro, Ihr Bürger?
Der Gedanke kann einem in der Tat kommen, wenn man den mit glühend heißer Nadel gestrickten „Bericht an den Ausschuss“ liest, der zum Thema vom Magistrat vorgelegt wurde. Kaum hatte der Bürgermeisterkandidat einer Wählerinitiative, Marius Hahn, sich die Einrichtung eines Bürgerbüros auf die Fahne geschrieben, gab es praktisch über Nacht diesen Stapel Magistratspapier.
Wenn man jedoch genau hinschaut, wird eins vollkommen klar. Wer auch immer diese Vorlage erarbeitet hat, hat nichts, aber auch GAR NICHTS verstanden.
Der Auftrag der Stadtverordneten war, die Einrichtung eines Bürgerbüros zu planen und darüber hinaus die Schaffung eines barrierefreien Zugangs zum „Neubau“ des Rathauses.
Für die Verfasser des Berichts war dies jedoch der Startschuss zu einer Orgie im Häuslebauen.
Zu sonst gar nichts.
Worum geht es aber nun wirklich bei einem Bürgerbüro?
Es ist unbestritten, dass ein Gemeinwesen wie eine Stadt eine Verwaltung benötigt. Doch das Ziel, dafür zu sorgen, dass alle Bürger ihren Pflichten nachkommen und alle ihre Rechte wahrnehmen können, wurde bei den meisten Verwaltungen völlig aus den Augen verloren.
Ganz egal, welche Vereinfachungen die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte theoretisch gebracht hat, Verwaltungsvorgänge sind immer nur komplizierter, undurchschaubarer und zeitaufwändiger geworden. Jeder Versuch einer Reform resultierte in weiteren Planstellen und neuen, sinnbefreiten Abläufen.
Der Stand der Dinge ist, dass der Mensch für die Verwaltung da ist – und nicht umgekehrt. Dabei ist der Bürger als Steuerzahler der Arbeitgeber der Verwaltungsmitarbeiter. Das Ziel müsste sein, jedem das Leben zu erleichtern, nicht, es ihm nach Kräften schwer zu machen.
Zerfaserte, dezentrale Behördenstrukturen mit einer hochentwickelten Kultur der Nichtzuständigkeit, sorgen dafür, dass jeder Bürger mehrere Urlaubstage im Jahr für „Behördengänge“ benötigt, wertvolle Lebenszeit auf Fluren sitzend verbringt – um oft genug unverrichteter Dinge frustriert wieder abzuziehen.
Bürger-Drucker
Das kann so nicht weiter gehen, dachten sich in den 90er Jahren einige progressive Politiker und machten sich wieder einmal dran, städtische Verwaltungen vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Diesmal jedoch mit einem neuen Ansatz.
Sie definierten die Verwaltungen kurzerhand zu Dienstleistungsbetrieben und die Bürger nicht zu Geiseln und Opfern von Bürokraten, sondern zu Kunden um, die nach Kräften und bestmöglich zu bedienen sind.
Das Prinzip funktionierte, nicht zuletzt zur Überraschung derer, die es initiiert hatten. Die meisten großen Städte haben inzwischen Bürgerbüros, in denen die Menschen zentral eine Stelle finden, an der ihnen in Verwaltungsangelegenheiten geholfen wird.
Nach und nach ziehen kleinere Städte nach, so die jeweiligen Machthaber sich nicht mit aller Kraft dagegen wehren, dass ihnen ein Instrument der Machtpolitik genommen wird. Bürger, die sich fürchten, das Rathaus zu betreten und zusammenzucken, wenn sie ein Brief mit dem Stadtwappen aus dem Kasten holen, sind leichter unter Kontrolle zu halten und trauen sich nicht, verbriefte Rechte einzufordern oder behördlichen Entscheidungen zu widersprechen, seien sie auch noch so rechtswidrig oder absurd oder beides.
Der Weg zu einem funktionierenden Bürgerbüro führt über drei Schritte.
Zunächst ist ein Konzept erforderlich, bürokratische Abläufe so rasch und bürgerfreundlich wie möglich zu gestalten. Die Struktur der Behörden muss so umgebaut werden, dass bei eindeutigen Zuständigkeiten Vorgänge von Sachbearbeitern verantwortlich zum Besten des Kunden Bürger umgehend bearbeitet werden.
Bei einer Verwaltung, deren Struktur von oben herab so organisiert ist, dass jede Arbeit möglichst zeitintensiv ist und Entscheidungen die zugunsten der Betroffenen ausfallen müssen, verschleppt und mit Hindernissen ohne Ende blockiert werden, muss eine grundsätzliche Neuorientierung erfolgen.
Bürger-Rechner
Erst nachdem die Struktur der reogransierten Behörde und der Abläufe festgelegt ist, folgt der zweite, vorentscheidende Schritt.
Ein Bürgerbüro braucht das richtige Personal.
In Limburg will sicher ein Großteil der Verwaltungsangestellten dem Bürger zu Diensten sein. Doch die überkommenen, autoritären Machtstrukturen lassen das nicht zu und degradieren qualifizierte Menschen in mittleren Positionen zu frustrierten Stempeldrückern und Ablehnern.
Es gilt nun, diejenigen in dem reichen Personalfundus zu finden, die für die jeweiligen Aufgaben am besten geeignet und motiviert sind, selbstverantwortlich im Sinne der Bürger tätig zu werden.
Gerade in den leitenden Positionen ist es unumgänglich, dass dabei einige heilige und sicher diverse unheilige Kühe geopfert werden. Da jedoch sowieso eine ganze Reihe von Neubesetzungen bei Amtsleitern anstehen, kann diese große Chance dazu genutzt werden, gleich Menschen zu werben, die dem neuen Konzept positiv gegenüberstehen und es aktiv mit gestalten und umsetzen wollen.
Wenn dieser elementare Teil des Umbaus geschafft ist, wenn Strukturen, Abläufe und insbesondere das Personal für ein funktionierendes Bürgerbüro organisiert sind, dann und erst DANN kann man sich Gedanken darüber machen, wo man ein solches am besten zentral einrichtet. Die räumlichen und baulichen Voraussetzungen kann man naturgegeben erst dann ermitteln, wenn man wirklich weiß, wie viele Menschen mit welchem Publikumsverkehr was zu erledigen haben.
In Limburg ist das anders.
Hier hört man „Büro“ und alles ruft im Chor: „BAUEN“.
Hier besorgt man die Schindeln, bevor man weiß, wie der Grundriss des Hauses aussehen wird, wie hoch das Gebäude wird und welche Form das Dach bekommt.
Der Magistratsbericht ist ein weiteres Zeugnis dieser Limburger Manie. Erstaunlich ist nur, dass kein Fußgängerkreisel im Foyer des Rathauses geplant ist.
Mehr als 600.000,-- € sind schon im Geiste ausgegeben – und es gibt nicht einmal den Ansatz eines Konzeptes für die Funktion des Unternehmens.
Bürger-Fax
Man macht eben mal irgendwas. Aber es reicht nicht, an der Tür das Schild „Stadtverwaltung“ durch „Bürgerbüro“ zu ersetzen und die müllsackverteilende Dauertelefonistin aus ihrem schusssischeren Glaskasten heraus zu zerren und an einen seitlich versteckten Tresen zu setzen.
Ein Bürgerbüro ist kein Schreckensbau der 70er, an dem ein paar Wände eingerissen und andere hochgezogen werden.
Ein Bürgerbüro ist das Zeichen eines Wandels in der Einstellung der Verwaltung den Menschen gegenüber.
Doch wenn die Stadtoberen den Bürger nach wir vor nur als Untertan und Verwaltungsobjekt sehen, wird sich nichts ändern.
Ganz gleich, wie man das Kind nennt.
Aus wahltaktischen Gründen nimmt man in Limburg nun also ein Bürgerbüro in Angriff.
Wohin die Reise gehen soll, weiß keiner der Verantwortlichen. Trotzdem laufen sie mal los. Irgendwohin. Denn dann hat man wenigstens schon ein ordentliches Stück Weg hinter sich gebracht.
Ob man dabei in eine völlig falsche Richtung stolpert, interessiert keinen.

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