Donnerstag, 23. April 2015

Kriminalitätsreport Limburger Altstadt (4 und Schluss)



Sicherheit ist immer ein heikles Thema, denn es gilt den Spagat zwischen dem bewachten Bürger und dem überwachten zu schaffen. Soll heißen, jede Forderung nach mehr Polizei-Personal und Präsenz birgt die Gefahr, dass sich die Menschen eingeschränkt und überwacht fühlen.
Totale Sicherheit ist nicht möglich, jedenfalls nicht ohne gleichzeitigen Totalverlust aller Bürgerrechte. Wenn alle an allem immer gehindert werden, kann niemand mehr etwas tun. Nichts Böses. Aber auch sonst nichts. Dies gilt es immer zu beachten.
Mehr Polizei muss nicht gleichbedeutend mit Polizeistaat sein. Aber die Gefahr lauert natürlich in den Ecken, insbesondere in Anbetracht der jüngeren Geschichte.
Dies nur als Vorbemerkung zur abschließenden Würdigung der Situation in Limburg.
Trügerisches Idyll
Das Ziel dieser Artikelserie ist es nicht, Ängste zu schüren oder gar eine Panik hervorzurufen. Aber es ist höchste Zeit, einige Probleme und Situationen einmal offen an- und auszusprechen.
Die Limburger Altstadt ist in Sachen Kriminalität sehr viel schlechter gestellt, als allgemein bekannt. Die Statistiken geben nur einen kleinen und unzureichenden Ausschnitt der tatsächlich begangenen Taten wieder. Bezüglich des Sicherheitsgefühls der Geschäftsleute, Bewohner und Besucher sind sie sogar ohne jede Aussagekraft.
Es ist zwar nicht so, dass man in den Gassen der Altstadt zu jeder Tages- und Nachtzeit um Leib, Leben, Hab und Gut fürchten muss. Aber eine erhöhte Wachsamkeit ist schon angesagt.
Will man die Gesamtsituation beurteilen, darf man den Fokus jedoch nicht nur auf die lokale Lage richten. Für ein sicheres Leben und Arbeiten an einem Ort sind nämlich drei verschiedene Parteien (nicht im Sinne von politischen…) verantwortlich.


Das Land Hessen

Die Sicherheit der Bürger ist Landessache. Hinter dieser gesetzlichen Regelung stand die Vorstellung, dass man an jedem Ort des Landes Hessen gleich gefährdet oder eben ungefährdet sein sollte. Keiner durfte die Chance haben, Sicherheit zu kaufen. Wären Strafverfolgung und Prävention eine kommunale Aufgabe, könnten sich die reichen Städte viele Polizisten und damit Sicherheit leisten und in den armen würde die Gesetzlosigkeit herrschen.
Gleiches Recht und gleiche Sicherheit für alle sind eine schöne Vorstellung.
Doch die Entwicklung der letzten 30 Jahren hat dazu geführt, dass Bürger nicht überall gleich gut beschützt werden, sondern dass sie überall gleich gefährdet sind.
Landesaufgabe
Das Desaster begann damit, dass alle Bereiche der öffentlichen Haushalte der Beurteilung durch weltfremde Betriebswirtschaftler unterworfen wurden, die nicht mehr als Gewinn- und Verlustrechnung beherrschten. „Wirtschaftliches Handeln“ war das Totschlagargument. Man stellte fest, dass die Polizei das Land Hessen mehr Geld kostete, als sie in Form von Bußgeldern und indirekt Strafen nach Verurteilung von Straftätern einbrachte. Der einzige Schluss, den man daraus zog, war: Sparen. Streichen, knausern, reduzieren.
Die absurde Vorstellung, Sicherheit sei in irgendeiner Form in einem Jahreshaushalt monetär zu bewerten, dominierte nun alles. Mangels Fantasie und harter Daten (die natürlich nicht erhoben wurden), wurde jeder mittel- bis langfristiger Nutzen einer modernen (inneren) Sicherheitspolitik kurzerhand ignoriert.
Das Resultat ist heute, dass es immer weniger Stellen bei der Polizei gibt. Das Verhältnis von Polizisten pro Tausend Bürger ist seit ewigen Zeiten krass rückläufig. Immer mehr Reviere wurden und werden geschlossen oder in nur teilbesetzte Posten umgewandelt. Die Ausrüstung der Polizei wird zusammengestrichen, der Fuhrpark sowieso. Viele Beamten müssen mit vorsintflutlicher EDV arbeiten, die mehrere Generationen hinterher hinkt.
Für den kleinen Controller im Rechnungshof (sie und ihre Planstellen vermehren sich wie die Fliegen…) scheint nur ein nicht mehr vorhandener Polizist ein guter Polizist zu sein. Haushaltstechnisch.
Beschlüsse werden heute nicht mehr nach Einsatzerfordernissen getroffen, sondern aus undurchschaubaren und in jedem Fall sachfremden Erwägungen. Der letzte Schildbürgerstreich der ganz besonderen Art ist die Idee der Landesregierung, die örtlichen Notrufzentralen zu schließen! Diese sollen in ein paar wenige „Hilfe-Callcenter“ zusammenfasst werden, in denen der Notrufer dann irgend einen Disponenten ans Ohr bekommt, der von dem Ortsteil, in dem er dringend Hilfe braucht, noch nie im Leben etwas gehört hat. Geschweige denn von der Straße oder gar der regional üblichen Bezeichnung.
Rasche Beute
Die Sicherheitspolitik Hessens ist ein erschreckender Amateurzirkus, in dem Fachwissen nicht gefragt ist. Die Polizei und ihre Vertreter sind in einer Zwickmühle. Sie dürfen nämlich beamtenrechtlich nicht das sagen, was sie wirklich wissen und meinen. Sie sind zu einer Vasallentreue verpflichtet und dürfen maximal auf dem Dienstweg das Fingerchen mahnend heben. Um dann ignoriert zu werden.
Die Kriminalstatistik wird so geführt, dass sie eine möglichst hohe Aufklärungsquote ausweist. Immer wieder werden Aktionen durchgeführt, die nur dem Zweck dienen, die Bilanz zu schönen. Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit nicht zugelassenem Fahrzeug und Drogen und Alkohol am Steuer sind alles Delikte, bei denen die Aufklärungsrate bei 100% liegt. Oder hat schon mal jemand von einer „ungeklärten Trunkenheitsfahrt“ gehört? Also gibt es immer wieder Kontrollstellenorgien, bei denen die absoluten Fangzahlen im Verhältnis zu den kontrollierten Wagen lächerlich sind. Aber für die „Aufklärungsquote“ sind sie statistisches Gold.
Die Landespolitik ist in erster Linie bemüht, das eigene Versagen und den beharrlichen Rückzug aus der inneren Sicherheit zu kaschieren.
Dem Bürger wird immer wieder erzählt, er sei sicher. Oder es werden ihm sogar Polizisten-Dummies als wandelnde Notrufsäulen präsentiert („Freiwilliger Polizeidienst“), um „das subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken“.
Doch warum ist dieses dann immer weniger vorhanden?


Die lokale Politik

Städte sind rechtlich gesehen für die Sicherheit ihrer Bürger sachlich nicht zuständig. Das Ordnungsamt und seine Helfer sind keine Strafverfolger und Verbrechensverhinderer, ganz gleich wie sich der eine oder die andere HIPO auch aufführt.
Bürgermeister, Stadträte oder Amtsleiter sind der Polizei gegenüber nicht weisungsbefugt.
Trotzdem tragen auch sie eine Verantwortung, nämlich eine politische. Die lokalen Behörden und Politiker sind durchaus in der Pflicht, sobald die Sicherheit ihrer Bürger in Gefahr ist. Sie müssen an den zuständigen Stellen aktiv werden und für politischen und öffentlichen Druck sorgen, sobald klar wird, dass das Land seinen gesetzlichen Pflichten nicht mehr nachkommt.
Ohne beständige politische Arbeit auf kommunaler Ebene wird sich nichts ändern. Dazu ist aber Voraussetzung, dass sich Bürgermeister und Verwaltung überhaupt für die Belange der Bürger interessieren und ihre Sorgen und Probleme ernst nehmen.
Es wird eng...
In Limburg sind in dieser Hinsicht leider erhebliche Zweifel angebracht. Wie es scheint, existiert im Bewusstsein der Stadtregenten kein Sicherheitsproblem.
Ich habe bei der Stadt angefragt, ob es ein Sicherheitskonzept für die Limburger Altstadt gibt.
Die Antwort war – gar keine.
Es existiert also für eine Stadt, die sich damit brüstet, jedes Jahr eine gute Million Besucher aller Art zu beherbergen, kein Maßnahmen- und Erkenntniskatalog, der in Zusammenarbeit zwischen den Behörden, Polizei und Betroffenen entstanden wäre und die Belange aller berücksichtigt.
Ohne ein Problembewusstsein werden Lokalpolitiker aber nichts unternehmen. Bemerken sie selbst nichts, muss man sie mit der Nase darauf stoßen – und nicht nur bei kleinen Wahlveranstaltungen mal ein paar Sätze sagen, die dann eifrig mitgeschrieben und vergessen werden.
Die Betroffenen selbst sind aufgerufen, dafür zu sorgen, dass die Verantwortlichen sich darüber bewusst werden, wie es den Menschen in der Stadt geht und welche Sorgen und Ängste sie umtreiben.


Die im Stich Gelassenen

Den betroffenen Bürgern steht ein ganzer Katalog an Reaktionen zur Verfügung, um auf die eigene Situation aufmerksam zu mache. Nur ist dieser den wenigsten bekannt oder es traut sich kaum jemand, tätig zu werden.
Dabei ist es nicht besonders schwer. Man muss sich nur ein wenig Zeit nehmen, es anzugehen.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, wenn man glaubt, nach Abgabe seiner Stimme hätte man als Bürger keinen Anspruch an seinen Abgeordneten mehr. Aber das Gegenteil ist der Fall. Immerhin vertritt er im Landesparlament genau den Wahlbezirk, in dem er siegte, und die dortigen Bürger dürfen erwarten, dass er ihre Interessen wahrnimmt.
Sobald jemand also ein Problem hat, dessen Ursache auf Landesebene zu suchen ist, wäre „sein“ Abgeordneter der erste Ansprechpartner.
Irrelevant und hilflos
Auf die lokale Situation gemünzt heißt das, jedes Mal, wenn jemand in Limburg Opfer einer Straftat wird und der Ansicht ist, diese sei zu verhindern gewesen, hätte es mehr Polizeipräsenz gegeben oder wäre diese schneller vor Ort gewesen, sollte er dies seinem Abgeordneten mitteilen. Dabei sollte er ihn auffordern, alles zu tun, dass in Zukunft so etwas verhindert wird und er möge doch bitte mitteilen, was er unternommen hat.
Nachrichtlich kann man eine solche Botschaft an den Bürgermeister schicken, mit der dringenden Bitte, gleichfalls politisch aktiv zu werden, um das Land dazu zu bringen, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten.
Es schadet auch nicht, dem Innenminister, der für die Polizei zuständig ist, mitzuteilen, wenn man mit der Lage unzufrieden ist, in Gefahr war oder zu Schaden gekommen ist. Je konkreter die jeweilige Situation geschildert wird, umso besser. In einem der vorangegangenen Artikel habe ich Bezug auf den Umstand genommen, dass Rettungsdienste innerhalb von 10 Minuten vor Ort sein MÜSSEN, die Polizei aber keiner Regel unterworfen ist. Jedes Mal, wenn es nach der Wahl der 110 länger als 10 Minuten dauert, bis polizeiliche Hilfe eintrifft, sollte man sich also beim Innenministerium darüber beschweren.
Sehr wichtig ist es außerdem, wie bereits erwähnt, dass jede, aber auch wirklich JEDE Straftat angezeigt wird. Die Statistiken dienen in erster Linie als Alibi, nichts zu tun. Doch die erscheinen jährlich und diesen Umstand kann und muss man nutzen. Je höher die Zahl der real unaufgeklärten Taten ist, die in den Jahresberichten erscheinen, desto besser.
Nur wenn der Druck auf die Politik beharrlich erhöht wird und von vielen Seiten kommt, besteht die Chance, dass sich etwas ändert.
Mittel- bis langfristig.
Für die akute Lage ändert dies leider erst einmal nichts.
Gegenwärtig sind die Bürger, Besucher und Geschäftsleute auf sich selbst gestellt.
Ihnen kann man nur einige, generelle Ratschläge geben.
Aufmerksam sein und auf einander aufpassen ist dabei etwas, das von Geschäftsinhaber(innen) erfreulicherweise schon gut praktiziert wird. Der nächste Schritt wäre, die Hemmungen abzulegen und im Zweifel die Polizeilieber einmal zu viel zu rufen als zu wenig. Alles, was verdächtig vorkommt, sollte weiter gegeben werden. Dabei sollte man natürlich nur im akturen Notfall die 110 wählen. Für alle anderen Mitteilungen reicht die 91400, die allgemeine Rufnummer der Polizei in Limburg.
Zusammenschließen, Augen offen halten!
Die wenigen Streifen, die durchgeführt werden, sollte man bei Gelegenheit für Gespräche nutzen, um zu erfahren, was passiert und selbst einen Überblick über die aktuelle Lage zu geben.
Der falsche Ansprechpartner für die Sicherheit sind allerdings die Mitarbeiter des Ordnungsamts und die Hilfspolizei. Diese werden in der Limburger Altstadt ja leider in erster Linie dazu eingesetzt, um Wirte und Geschäftsleute zu gängeln und zu schikanieren, nicht zur Durchsetzung ihrer Rechte und Belange…
Die oberste Regel im Umgang mit Kriminalität heißt für die Betroffenen: Begib Dich nicht in Gefahr. Keine Sache und kein Geld ist es wert, dass man dafür körperliche Schäden oder mehr riskieren sollte. Dinge sind ersetzbar. Leben und Gesundheit nicht.
Gäbe es eine ernstzunehmende Organisation für die Geschäftsleute der Altstadt, wäre über diese einiges zu erreichen. Ein Zusammenschluss der Gefährdeten könnte Vorträge, Informationsveranstaltungen und Seminare organisieren, bei denen ECHTE Fachleute mit Betroffenen das richtige Verhalten erörtern und üben könnten. Es gibt Beratungen durch die Polizei auch für Geschäftsleute und sehr kompetente, private Veranstalter, die sich auf die Sicherheit von Unternehmern spezialisiert haben. Diese könnten Präventions- und Ernstfallschulungen anbieten.
Darüber hianus könnten sich die Organisierten mit anderen Netzwerken in Städten austauschen, die eine ähnliche Sicherheitslage haben und über dortige Strategien informieren und selbst die eigenen Erfahrungen einbringen.
In vielen Städten gibt es „Pro Polizei“-Vereine, die sich mit genau diesen Themen befassen. Eventuell wäre die Gründung einer solchen Organisation auch für Limburg eine Idee.
Sicherheit in Limburg war lange Zeit kein Thema. Doch interessanterweise scheint es gelungen zu sein, die Öffentlichkeit in der letzten Zeit für diesen Komplex mehr zu interessieren. So befasste sich unlängst ein größerer Artikel in einer lokalen Zeitung mit Einbruch und den professionellen Banden, die oft genug dahinter stecken. Vielleicht hatte das ein klein wenig mit dieser Artikelserie zu tun…
Was bleibt als Fazit?
Die Sicherheit der Limburger Altstadt ist ein Problem, das bislang beharrlich ignoriert wurde.
Jeder ist aufgerufen, seinen Beitrag zu leisten, dass die Lage besser wird. Die Betroffenen. Aber in erster Linie die zuständigen Politiker.

Ich werde weiter beobachten und berichten…

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