Freitag, 3. April 2015

Kriminalitätsreport Limburger Altstadt (Teil 1)



SELBSTBEDIENUNG

Eine Million Menschen besuchen alljährlich die Limburger Altstadt, so man offiziellen Zahlen glauben darf. Sie lassen etwas Geld hier und nehmen dafür ein paar Dinge mit.
Doch eine ganze Reihe von Besuchern greift zu und „vergisst“ dabei das Zahlen.
Vor dem Ansturm
Diebstahl war für die Geschäftsleute der Altstadt immer ein Thema, allerdings nur eines, das im kleinen Kreis bestens bekannt ist, unter Freunden und Kollegen immer wieder erwähnt wird, aber bisher nie den Weg in die Öffentlichkeit fand.
Damit ist nun Schluss.
Erstmals haben sich Betroffene zu Wort gemeldet und offen ausgesprochen, was die politisch Verantwortlichen bisher beharrlich ignorieren: Es gibt in der Limburger Altstadt ganz erhebliche Kriminalitätsprobleme. Alle Geschäftsinhaber in der Altstadt sind regelmäßig Opfer von Dieben. Das ist das Ergebnis meiner ersten, nicht repräsentativen Umfrage unter Ladenbesitzern.
Relativ schwer nachvollziehbar ist dabei der Warenschwund dort, wo Mengen von kleinen Dingen wie abgepackter Tee oder Schokoriegel offen in den Regalen liegen. Waren, die nicht der Inventur unterliegen, werden natürlich nicht einzeln am Abend vermisst. Aber eindeutige Differenzen zwischen Bestand und Einnahmen legen nahe, dass schon in dem Bereich der „Mitbringsel“ gut zugegriffen wird.
Eindeutiger und wesentlich problematischer ist die Lage für Anbieter auf dem Textilsektor. Hier können die Geschäftsinhaber wesentlich leichter feststellen, wenn etwas fehlt – und das ist oft genug der Fall. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Kleiderständer vor den Geschäften, die von den meist sehr tiefen Läden aus schwer zu überwachen sind. Hier ist, gerade bei hochwertiger Kleidung, der Schaden auch gleich erheblich. So verschwanden zum Beispiel innerhalb einer Woche nicht weniger als 5 Designermäntel vom Ständer einer Boutique – mit 4-stelligem Verlust für die Inhaberin.
Klein, teuer, schnell weg
In vielen Textilläden finden sich am Ende des Tages immer wieder die abgeschnittenen Preisschilder in den Umkleiden – ohne dass die zugehörige Ware über die Kasse gegangen wäre.
Nicht weniger gefährdet sind Schmuck, Uhren und generell kleinere, leichter einzusteckende Dinge, die vor Langfingern selbst dann nicht sicher sind, wenn sie in Vitrinen liegen.
Die (in den meisten Fällen) Inhaberinnen können innerhalb der Geschäfte kaum alles im Auge zu behalten. Sobald mehr als eine Handvoll Kunden im Laden ist, wird es schwierig, die oft verwinkelten Läden zu überblicken.
Es ist übrigens ein verbreiteter Irrglaube anzunehmen, die hohe Besucherzahl und damit die Menge der potentiellen Beobachter in den Gassen würde Diebe von ihrem Tun abschrecken. Leider ist das Gegenteil der Fall. Je mehr Menschen zuschauen, desto dreister agieren die Täter. Mehr als einmal fanden Inhaberinnen vollständig ausgezogene Kleiderpuppen am Abend vor ihren Läden. Dutzende Passanten mussten die Tat beobachtet haben, doch keiner sagte einen Ton. Je selbstverständlicher die Diebe agieren, desto größer ist ihre Chance davonzukommen.
Es kommt auch vor, dass Waren längere Zeit gar nicht vermisst werden, wenn sie nicht an exponierter Stelle lagen und ihr Platz dann leer ist. Vor wenigen Wochen ging zum Beispiel die Polizei durch alle in Frage kommenden Läden der Altstadt und präsentierte Kleidung und Schmuck, die sie sichergestellt hatte. Anhand der noch daran hängenden Schilder gab es einen Hinweis auf die Herkunft – und viele der Besitzer waren ziemlich überrascht, ihren Warenbestand in den Händen der Polizisten zu sehen.
Puppen, angezogen. Noch.
Täterin war in diesem Fall eine professionelle Ladendiebin, die im großen Stil bundesweit hochwertige Textilien „einsammelte“. Für solche Berufsverbrecher ist die Limburger Altstadt immer ein lohnendes Ziel.
Aber auch die beiden anderen Klassen von Dieben treiben sich in der Lahnstadt herum. Auf Dinge, die schnell zu „versilbern“ sind, haben es Drogenabhängige abgesehen, die so ihre Sucht finanzieren. Jugendliche Gelegenheitsdiebe und besonders –innen dagegen greifen gerne bei Mode, Schmuck und Kosmetik zu.
Die wenigsten Opfer von Ladendieben in der Altstadt machen sich die Mühe, die Polizei zu rufen. Niemand kommt, um Anzeigen aufzunehmen. Die Betroffenen müssten also zum Offheimer Weg fahren und dort die Tat umständlich zu Protokoll geben, was einen Zeitaufwand darstellt, der meistens in keinem Verhältnis zum Schaden steht. Dazu kommt noch, dass alle wissen, dass sie maximal irgendwann einen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft bekommen, weil „die Ermittlungen keinen Tatverdacht gegen eine bestimmte Person ergeben haben“. Das ist aber nur ein Zehntel der Wahrheit. Gibt der Anzeigende nicht sehr, sehr konkrete Hinweise auf einen möglichen Dieb, wird erst gar nicht ermittelt, da es sowieso vollkommen aussichtslos ist.
Nur diejenigen, die wirklich erhebliche Werte im Einzelfall verlieren, erstatten prinzipiell Anzeige.
So kommt es, dass die Kriminalstatistik für das Jahr 2014 für den gesamten Bereich der Polizeidirektion Limburg gerade einmal 481 Ladendiebstähle ausweist. In den Erläuterungen zu dem Bericht deutet der Verfasser eine unbekannte Dunkelziffer an. Diese aber ist gigantisch.
Geht man alleine von der Limburger Altstadt aus und nimmt, nach meinen Gesprächen sehr niedrig geschätzt, 20 Fälle von Diebstahl pro Jahr und Laden an, katapultiert dies die Fallzahl in eine beunruhigende, vierstellige Höhe. Dabei handelt es sich bei jedem Einzelfall um einen ungeklärten, der nie in der Statistik auftaucht.
Bei der Verhinderung von Diebstählen in der Altstadt ist die Polizei keine große Hilfe – aber dafür kann sie nichts. Mit minimalem Personalbestand, der ein riesiges Gebiet zu bearbeiten hat, reicht es mit Ach und Krach für eine Fußstreife pro Tag, durch die gesamte Innenstadt. Eine weitere am Abend ist eventuell versprochen. Das heißt aber, dass praktisch den ganzen Tag über keine Präsenz der Staatsgewalt in den Gassen der Altstadt besteht und damit die Abschreckungswirkung auf potentielle Diebe gleich Null ist.
Von der städtischen Hilfspolizei ist auch nicht mehr zu sehen und vom Freiwilligen Polizeidienst muss man gar nicht erst reden.
Reinschauen lohnt sich. Leider auch für Diebe.
Der Führung der Polizei ist das Problem der mangelnden Präsenz bekannt und sie würde nichts lieber tun, als durch eine ständige Anwesenheit von Beamten die Sicherheit zu erhöhen. Am besten wäre ein wenigstens tagsüber besetzter Polizeiposten im Bereich der Innenstadt. Die große Auswahl an leerstehenden Lokalen in der Grabenstraße böte einen idealer Standort. Doch dazu fehlen die Beamten.
Mehr Personal für derlei Aufgaben bekäme die Polizei, wäre die Kriminalstatistik nicht so „gut“. Dass diese die realen Verhältnisse geradezu verzerrt, ist nicht die Schuld der Ermittler. Diese können nur das bearbeiten bzw. statistisch erfassen, was ihnen bekannt wird.
Hier gäbe es einen ersten Schritt zu mehr Sicherheit, den die Inhaber der Geschäfte selbst gehen könnten. Sie müssten unbedingt JEDEN Diebstahl anzeigen, sodass er im Kriminalbericht auftaucht und auf diese Weise die alarmierende Lage auch dokumentiert wird.
Dazu muss ein Bestohlener oder eine Bestohlene nicht mehr die Polizei aufsuchen.
Die wenigsten wissen leider, dass man Taten auch im Internet melden kann.
Auf der Seite https://onlinewache.polizei.hessen.de/ow/Onlinewache/ kann man direkt über ein Formular Strafanzeige erstatten und alle notwendigen Angaben vom Schreibtisch aus machen.
Kurzfristig wird dies an der Lage nicht viel ändern, aber mittelfristig ergibt sich daraus eine Möglichkeit, Verantwortliche mit Hilfe der besorgniserregenden Statistik dazu zu zwingen, endlich aktiv zu werden.
Doch es sind nicht nur die meist unerkannt bleibenden Ladendiebe, die den Geschäftsleuten Sorgen bereiten. 
Besonders unter den Inhaberinnen der kleinen Unternehmen geht die Angst um…

Fortsetzung folgt…

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