SELBSTBEDIENUNG
Eine Million Menschen besuchen alljährlich die Limburger
Altstadt, so man offiziellen Zahlen glauben darf. Sie lassen etwas Geld hier
und nehmen dafür ein paar Dinge mit.
Doch eine ganze Reihe von Besuchern greift zu und „vergisst“
dabei das Zahlen.
Vor dem Ansturm |
Diebstahl war für die Geschäftsleute der Altstadt immer ein
Thema, allerdings nur eines, das im kleinen Kreis bestens bekannt ist, unter
Freunden und Kollegen immer wieder erwähnt wird, aber bisher nie den Weg in die
Öffentlichkeit fand.
Damit ist nun Schluss.
Erstmals haben sich Betroffene zu Wort gemeldet und offen
ausgesprochen, was die politisch Verantwortlichen bisher beharrlich ignorieren:
Es gibt in der Limburger Altstadt ganz erhebliche Kriminalitätsprobleme. Alle Geschäftsinhaber in der Altstadt sind regelmäßig Opfer
von Dieben. Das ist das Ergebnis meiner ersten, nicht repräsentativen Umfrage
unter Ladenbesitzern.
Relativ schwer nachvollziehbar ist dabei der Warenschwund
dort, wo Mengen von kleinen Dingen wie abgepackter Tee oder Schokoriegel offen
in den Regalen liegen. Waren, die nicht der Inventur unterliegen, werden
natürlich nicht einzeln am Abend vermisst. Aber eindeutige Differenzen zwischen
Bestand und Einnahmen legen nahe, dass schon in dem Bereich der „Mitbringsel“ gut
zugegriffen wird.
Eindeutiger und wesentlich problematischer ist die Lage für
Anbieter auf dem Textilsektor. Hier können die Geschäftsinhaber wesentlich
leichter feststellen, wenn etwas fehlt – und das ist oft genug der Fall.
Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Kleiderständer vor den Geschäften, die von
den meist sehr tiefen Läden aus schwer zu überwachen sind. Hier ist, gerade bei
hochwertiger Kleidung, der Schaden auch gleich erheblich. So verschwanden zum
Beispiel innerhalb einer Woche nicht weniger als 5 Designermäntel vom Ständer
einer Boutique – mit 4-stelligem Verlust für die Inhaberin.
Klein, teuer, schnell weg |
In vielen Textilläden finden sich am Ende des Tages immer
wieder die abgeschnittenen Preisschilder in den Umkleiden – ohne dass die
zugehörige Ware über die Kasse gegangen wäre.
Nicht weniger gefährdet sind Schmuck, Uhren und generell
kleinere, leichter einzusteckende Dinge, die vor Langfingern selbst dann nicht
sicher sind, wenn sie in Vitrinen liegen.
Die (in den meisten Fällen) Inhaberinnen können innerhalb
der Geschäfte kaum alles im Auge zu behalten. Sobald mehr als eine Handvoll
Kunden im Laden ist, wird es schwierig, die oft verwinkelten Läden zu
überblicken.
Es ist übrigens ein verbreiteter Irrglaube anzunehmen, die
hohe Besucherzahl und damit die Menge der potentiellen Beobachter in den Gassen
würde Diebe von ihrem Tun abschrecken. Leider ist das Gegenteil der Fall. Je mehr
Menschen zuschauen, desto dreister agieren die Täter. Mehr als einmal fanden
Inhaberinnen vollständig ausgezogene Kleiderpuppen am Abend vor ihren Läden.
Dutzende Passanten mussten die Tat beobachtet haben, doch keiner sagte einen
Ton. Je selbstverständlicher die Diebe agieren, desto größer ist ihre Chance
davonzukommen.
Es kommt auch vor, dass Waren längere Zeit gar nicht vermisst werden,
wenn sie nicht an exponierter Stelle lagen und ihr Platz dann leer ist. Vor
wenigen Wochen ging zum Beispiel die Polizei durch alle in Frage kommenden
Läden der Altstadt und präsentierte Kleidung und Schmuck, die sie
sichergestellt hatte. Anhand der noch daran hängenden Schilder gab es einen
Hinweis auf die Herkunft – und viele der Besitzer waren ziemlich überrascht,
ihren Warenbestand in den Händen der Polizisten zu sehen.
Puppen, angezogen. Noch. |
Täterin war in diesem Fall eine professionelle Ladendiebin,
die im großen Stil bundesweit hochwertige Textilien „einsammelte“. Für solche Berufsverbrecher ist die Limburger Altstadt immer ein lohnendes
Ziel.
Aber auch die beiden anderen Klassen von Dieben treiben sich
in der Lahnstadt herum. Auf Dinge, die schnell zu „versilbern“ sind, haben es
Drogenabhängige abgesehen, die so ihre Sucht finanzieren. Jugendliche Gelegenheitsdiebe und
besonders –innen dagegen greifen gerne bei Mode, Schmuck und Kosmetik zu.
Die wenigsten Opfer von Ladendieben in der Altstadt machen
sich die Mühe, die Polizei zu rufen. Niemand kommt, um Anzeigen aufzunehmen.
Die Betroffenen müssten also zum Offheimer Weg fahren und dort die Tat
umständlich zu Protokoll geben, was einen Zeitaufwand darstellt, der meistens
in keinem Verhältnis zum Schaden steht. Dazu kommt noch, dass alle wissen, dass
sie maximal irgendwann einen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft
bekommen, weil „die Ermittlungen keinen Tatverdacht gegen eine bestimmte Person
ergeben haben“. Das ist aber nur ein Zehntel der Wahrheit. Gibt der Anzeigende
nicht sehr, sehr konkrete Hinweise auf einen möglichen Dieb, wird erst gar
nicht ermittelt, da es sowieso vollkommen aussichtslos ist.
Nur diejenigen, die wirklich erhebliche Werte im Einzelfall
verlieren, erstatten prinzipiell Anzeige.
So kommt es, dass die Kriminalstatistik für das Jahr 2014
für den gesamten Bereich der Polizeidirektion Limburg gerade einmal 481
Ladendiebstähle ausweist. In den Erläuterungen zu dem Bericht deutet der
Verfasser eine unbekannte Dunkelziffer an. Diese aber ist gigantisch.
Geht man alleine von der Limburger Altstadt aus und nimmt,
nach meinen Gesprächen sehr niedrig geschätzt, 20 Fälle von Diebstahl pro Jahr und
Laden an, katapultiert dies die Fallzahl in eine beunruhigende, vierstellige
Höhe. Dabei handelt es sich bei jedem Einzelfall um einen ungeklärten, der nie in der Statistik auftaucht.
Bei der Verhinderung von Diebstählen in der Altstadt
ist die Polizei keine große Hilfe – aber dafür kann sie nichts. Mit minimalem
Personalbestand, der ein riesiges Gebiet zu bearbeiten hat, reicht es mit Ach
und Krach für eine Fußstreife pro Tag, durch die gesamte Innenstadt. Eine weitere am Abend ist eventuell
versprochen. Das heißt aber, dass praktisch den ganzen Tag über keine Präsenz
der Staatsgewalt in den Gassen der Altstadt besteht und damit die
Abschreckungswirkung auf potentielle Diebe gleich Null ist.
Von der städtischen Hilfspolizei ist auch nicht mehr zu
sehen und vom Freiwilligen Polizeidienst muss man gar nicht erst reden.
Reinschauen lohnt sich. Leider auch für Diebe. |
Der Führung der Polizei ist das Problem der mangelnden
Präsenz bekannt und sie würde nichts lieber tun, als durch eine ständige
Anwesenheit von Beamten die Sicherheit zu erhöhen. Am besten wäre ein
wenigstens tagsüber besetzter Polizeiposten im Bereich der Innenstadt. Die große Auswahl an leerstehenden
Lokalen in der Grabenstraße böte einen idealer Standort. Doch dazu fehlen die
Beamten.
Mehr Personal für derlei Aufgaben bekäme die Polizei, wäre
die Kriminalstatistik nicht so „gut“. Dass diese die realen Verhältnisse
geradezu verzerrt, ist nicht die Schuld der Ermittler. Diese können nur das
bearbeiten bzw. statistisch erfassen, was ihnen bekannt wird.
Hier gäbe es einen ersten Schritt zu mehr Sicherheit, den die
Inhaber der Geschäfte selbst gehen könnten. Sie müssten unbedingt JEDEN Diebstahl
anzeigen, sodass er im Kriminalbericht auftaucht und auf diese Weise die
alarmierende Lage auch dokumentiert wird.
Dazu muss ein Bestohlener oder eine Bestohlene nicht mehr
die Polizei aufsuchen.
Die wenigsten wissen leider, dass man Taten auch im Internet
melden kann.
Auf der Seite https://onlinewache.polizei.hessen.de/ow/Onlinewache/
kann man direkt über ein Formular Strafanzeige erstatten und alle notwendigen
Angaben vom Schreibtisch aus machen.
Kurzfristig wird dies an der Lage nicht viel ändern, aber
mittelfristig ergibt sich daraus eine Möglichkeit, Verantwortliche mit Hilfe
der besorgniserregenden Statistik dazu zu zwingen, endlich aktiv zu werden.
Doch es sind nicht nur die meist unerkannt bleibenden Ladendiebe,
die den Geschäftsleuten Sorgen bereiten.
Besonders unter den Inhaberinnen der kleinen Unternehmen
geht die Angst um…
Fortsetzung folgt…
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