Nun kommen sie wieder, die lustigen Tage voller Prosecco, kurzer
Kleidchen und Tiefbass. Das Altstadtfest steht ins Haus, im wahrsten Sinne des
Wortes. In den Orten des Landkreises und darüber hinaus hängen Plakate an den Laternenmasten, als gäbe es
einen Termin zur Stimmabgabe. Doch es sind nur die Auswärtigen, die sich
entscheiden können. Die Altstädter Limburgs hingegen haben keine Wahl.
Ruhe. Vor dem Ansturm |
Es ist der Höhepunkt des alljährlichen Terrors, dem die
Bewohner und Besitzer der Altstadthäuser am kommenden Wochenende ausgesetzt
sind. Rundum-Beschallung aus monumentalen Lautsprechergebirgen wird wieder
einmal die Gläser in den Schränken zum Klirren und die Dielen zum Beben
bringen, vom frühen Vormittag bis zur
Geisterstunde, garnierte mit Gesangsdarbietungen, Johlen, hysterischem
Kreischen, Gläsersplittern, dem einen oder anderen Freestyle-Kampf in
Cagefighter-Manier, oft ausgefochten von den üblichen Verdächtigen, und im
Hellen hinausposaunte Informationen über alles, was sich auf den Bühnen tut und
was die Menschen drei Straßen weiter nie wissen wollten. Weit nach offiziellem
Schluss der Bewirtung und Dröhnung dürfen die Ortsansässigen dann auch noch
Reality ohne TV in Form von lautstark und alkoholisiert geführten
Beziehungsdebatten, -anbahnungen, -ablehnungen und/oder beendigungen erleben.
Bis in die frühen Morgenstunden.
Sie müssten doch stolz sein, auf die lebendige Altstadt,
werden die Bewohner im Fall geäußerter Kritik durch die Initiatoren des
Treibens zwangsverpflichtet. Und dankbar, dem veranstaltenden Veranstalter für
die Veranstaltungen, die der Stadt doch erst so richtig ihr Flair und ihre
Bedeutung geben, müssen sie hören und/oder lesen.
Dankbar wofür, könnte man sich da fragen.
Seine Ursprünge hat die Feier, so man Gerüchten glauben darf,
in der Idee, ein Fest FÜR die Bewohner der Altstadt zu organisieren. Doch das
ist inzwischen so lange her, dass es bereits in Geschichtsbüchern Erwähnung
findet. Heute ist das Altstadtfest alles Mögliche, aber keine Veranstaltung FÜR
die Altstädter.
Es ist eine hochkommerzielle, gut geschmierte Gelddruckmaschine, die dazu dient, möglichst viele Flüssigkeiten und Nahrungsmittel zum möglichst hohen
Preis zu verkaufen. Zu diesem Zweck müssen möglichst viele Menschen innerhalb
des begrenzten Zeitraums zu den Ständen gelockt und dazu gebracht werden, dort
möglichst lange zu verweilen. Das wird durch lautstarke Darbietungen auf
diversen Bühnen erreicht. Die Umsätze, die die Standinhaber und ortsansässigen
Wirte verzeichnen, sind gewaltig. Dazu kommen auch jedes Jahr ein paar
Saison-Pfandsammler, die sich das Urlaubsgeld (was ihnen gegönnt sei) für die
ganze Familie dadurch verschaffen, dass sie zwischen den Bänken nach
Pfandgeschirr suchen und die Stehtische der lokalen Selfmade-Men in weit
offenen Seidenhemden und deren luftig beschürzter Begleitungen abräumen, um
Platz für den Nachschub an Flöten voll perlender Getränke zu schaffen, denn wer
sein Glas zurückbringt, hat verloren, der muss ja auf den Euro schauen…
Wirte und Sammler sind diejenigen, die ganz erheblich von
der Veranstaltung des drohenden Wochenendes profitieren.
Absolutes Haltverbot. Herrscht dort immer... |
Nicht so die Bewohner der Altstadt. Diese habe dafür die
Last und die Schäden zu tragen. Für drei Tage wird ein vollständiger Stadtteil
in Geiselhaft genommen, ohne dass es dafür seitens des Veranstalters auch nur
die Andeutung eines Ausgleichs gäbe oder gar eine Geste der Dankbarkeit.
Das Gegenteil ist der Fall.
Der Radau, der den Aufenthalt in den anliegenden Häusern
nahezu unmöglich macht, wurde bereits angesprochen. Doch es kommt ein weiterer,
wesentlicher Aspekt hinzu. Wo der Mensch viel in sich hineinschüttet und
schaufelt, muss er dies auch wieder loswerden – und je später der Abend, desto
unzivilisierter tut er das. Die Limburger Altstadt bietet eine große Zahl von
Nischen, Gängen, Ecken und Höfen, von denen die Besucher des Festes regelmäßig
und hemmungslos Gebrauch machen. Da wird gegen Mülltonnen gepinkelt und in
Ecken gekackt und gekotzt, wie es sich keine Katze trauen würde. Überall finden
sich zerbrochene Gläser, Flaschen, Einmalteller und anderes bis hin zu
Unterwäsche und benutzten… Latexteilen. Doch für die Beseitigung dieser Hinterlassenschaften
fühlt sich der Veranstalter nicht zuständig. Denn es handelt sich ja – nun auf
einmal – um Privatgrundstücke, die betroffen sind.
Es sind aber nicht nur die zivilisationfernen Reste der
Verdauung und Vermehrung, die mehr als ärgerlich sind. Nach jedem Altstadtfest
haben die Bewohner teils erhebliche Schäden an ihrem Eigentum zu beklagen.
Scheiben werden eingeschlagen oder eingeworfen, Blumen werden aus den Kästen
gerissen und verstreut, Verzierungen an Häusern abgebrochen oder gestohlen.
Noch blühen sie: designierte Opfer |
Fragen Betroffene die Profiteure des Treibens nach einem
Schadensausgleich, müssen sie erfahren, man sei nicht zuständig für das, was
Gäste des Festes persönlich anrichten und man müsse sich an die Randalierer
selbst halten. So man sie denn identifizieren kann.
Die Belange der Betroffenen sind den Veranstaltern mehr als
gleichgültig. In zivilisierten Regionen versucht man, Menschen einzubinden und
positiver zu stimmen, wenn man sie in Anspruch nehmen und belasten/belästigen
will. Das wäre zum Beispiel in Limburg möglich, indem man für jeden Anwohner
ein Gutscheinheft für Speis und Trank in einer angemessenen Höhe zur Verfügung
stellen würde. Auf einen solchen Gedanken kommt man in der Lahn-Metropole aber nicht
einmal.
Ganz im Gegenteil. In einer atemberaubenden Dreistigkeit
maßt sich ein Verein die Polizeigewalt über den gesamten Stadtteil an – und verlangt
von den Bewohnern des Altstadtzoos, dass sie sich für die drei Tage des
Wochenendes auch noch mit einem Affenbändchen am Arm MARKIEREN.
Dabei ist die Sachlage genau so bekannt wie eindeutig. Doch
geradezu komplizenschaftlich unternehmen der Veranstalter, Stadtverwaltung und
Ordnungsbehörde ALLES, eine Verbreitung der Kenntnisse darüber zu verhindern,
dass es absolut rechtswidrig ist, irgendjemandem zu irgendeinem Zeitpunkt am
Betreten der Altstadt zu hindern. Oder dafür gar einen „Eintritt“ zu verlangen…
(wird fortgesetzt)
Nicht zu vergessen, sollte man versehentlich Freunde an diesem Termin zu sich eingeladen haben.
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