Mittwoch, 18. Februar 2015

Bürgermeister verschwunden



Der noch amtierende Bürgermeister hat sich im Lauf seiner Amtszeit als ein Großmeister der Grundrechenarten profiliert. Besonders die beiden ersten, die der Grundschüler beigebracht bekommt, haben es ihm angetan. Er subtrahiert und addiert gerne. Plus und Minus sind sein Metier. Er subtrahiert zum Beispiel mit Vorliebe bei den Bewohnern und Geschäftsleuten der Altstadt und addiert alles, was an Geld, Einfluss und Verwaltungskraft verfügbar ist, zu dem flach bedachten Konsumareal aus Backstein, das sich hinter dem Bahnhof breit macht.
Doch ganz besonders gerne wandte der Noch-Erste-Bürger die beiden Rechenarten auf sich persönlich an. In dem Augenblick, in dem es brenzlig wurde und kritische Fragen gestellt wurden, subtrahierte er sich sehr schnell von der Bildfläche. Auf der anderen Seite stand er immer in der vordersten Reihe, sobald ein Berichterstatter eine Kamera zückte. Ob jemand den ersten Spatenstich zu einem privat geplanten und finanzierten Parkhaus setzte, eine Sängerschar jubilierte, Krämervereinigungen Fässer anschlugen oder Menschen besonders alt wurden: Keine Feier ohne Meier. Es war praktisch unmöglich, die Zeitung aufzuschlagen, ohne das Gesicht des Bürgermeisters auf wenigstens zwei Fotos zu erblicken.
Bürgermeisteramtssitz: Wo ist er geblieben?
Doch diese Serie der öffentlichen Auftritte ist wie abgeschnitten. Der noch amtierende Bürgermeister ist seit dem Tag, an dem er seinen Verzicht auf eine neue Kandidatur erklärte, mit einem Schlag aus der Öffentlichkeit verschwunden. Er hat sich persönlich vollständig subtrahiert. Er nimmt nur noch Pflichtveranstaltungen in Verwaltung und Parlament wahr, in denen er lustlos agiert, wie jemand, der nur noch seine Zeit absitzt, und jedes Interesse verloren hat.
Die Zeitungen sind nun voll mit Bildern eines anderen Mannes. Bisher kannte kaum jemand das Gesicht und in der Berichterstattung wurde er immer nur erwähnt, selten abgebildet. Wenn es erforderlich war, einen Repräsentanten der Stadt zu entsenden und der Rathauschef signalisieren wollte, dass er den Betreffenden, dessen Institution oder Anliegen maximal pflichtgemäß zur Kenntnis nehmen musste, aber nicht wollte, schickte er die Zweitbesetzung.
Dies hat sich völlig gewandelt. Auch zu den Anlässen, die der Bürgermeister in der Vergangenheit mit Zähnen und Klauen gegen jeden verteidigte, der sich in den Vordergrund drängen wollte, sieht man nur noch den Ersten Stadtrat. Großformatig und kleingerastert erblickt man ihn, wie er Hände schüttelt, Schecks greift, Defillibratoren testet oder diesem und jenen zuprostet.
Der Stellvertreter ist seit Dezember auf ganz großer Tour und omnipräsent.
Ein Bürgermeister ist der Regent einer Stadt und soll als solcher überparteilich agieren. Der vollständige Rückzug aus der Öffentlichkeit zugunsten eines Mannes, der seine Bewerbung um die Nachfolge erklärt hat, hat jedoch mit diesem Gebot nichts zu tun. Terminprobleme, Erkältungen, Urlaube, Sitzungen sind nur fadenscheinige Ausreden dafür, dass der aktuelle Nochbürgermeister dem Mann, den er als seinen Nachfolger sehen möchte, gezielt jeden Auftritt außerhalb des Rathauses überlässt. Der Wahlkampf hat längst begonnen – und der noch amtierende Bürgermeister ist mittendrin. Als offener Parteigänger, und er tut alles, den von seiner Fraktion gewollten Kandidaten ins Scheinwerferlicht zu stellen.
Rückzug aus der Öffentlichkeit: Eine interessante, ganz neue Form der Wahlkampfhilfe.

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