Der noch amtierende Bürgermeister
hat sich im Lauf seiner Amtszeit als ein Großmeister der Grundrechenarten
profiliert. Besonders die beiden ersten, die der Grundschüler beigebracht
bekommt, haben es ihm angetan. Er subtrahiert und addiert gerne. Plus und Minus
sind sein Metier. Er subtrahiert zum Beispiel mit Vorliebe bei den Bewohnern
und Geschäftsleuten der Altstadt und addiert alles, was an Geld, Einfluss und
Verwaltungskraft verfügbar ist, zu dem flach bedachten Konsumareal aus
Backstein, das sich hinter dem Bahnhof breit macht.
Doch ganz besonders gerne wandte der
Noch-Erste-Bürger die beiden Rechenarten auf sich persönlich an. In dem
Augenblick, in dem es brenzlig wurde und kritische Fragen gestellt wurden,
subtrahierte er sich sehr schnell von der Bildfläche. Auf der anderen Seite stand
er immer in der vordersten Reihe, sobald ein Berichterstatter eine Kamera
zückte. Ob jemand den ersten Spatenstich zu einem privat geplanten und
finanzierten Parkhaus setzte, eine Sängerschar jubilierte, Krämervereinigungen
Fässer anschlugen oder Menschen besonders alt wurden: Keine Feier ohne Meier.
Es war praktisch unmöglich, die Zeitung aufzuschlagen, ohne das Gesicht des
Bürgermeisters auf wenigstens zwei Fotos zu erblicken.
Bürgermeisteramtssitz: Wo ist er geblieben? |
Doch diese Serie der öffentlichen
Auftritte ist wie abgeschnitten. Der noch amtierende Bürgermeister ist seit dem
Tag, an dem er seinen Verzicht auf eine neue Kandidatur erklärte, mit einem
Schlag aus der Öffentlichkeit verschwunden. Er hat sich persönlich vollständig
subtrahiert. Er nimmt nur noch Pflichtveranstaltungen in Verwaltung und Parlament
wahr, in denen er lustlos agiert, wie jemand, der nur noch seine Zeit absitzt,
und jedes Interesse verloren hat.
Die Zeitungen sind nun
voll mit Bildern eines anderen Mannes. Bisher kannte kaum jemand das Gesicht
und in der Berichterstattung wurde er immer nur erwähnt, selten abgebildet.
Wenn es erforderlich war, einen Repräsentanten der Stadt zu entsenden und der
Rathauschef signalisieren wollte, dass er den Betreffenden, dessen Institution
oder Anliegen maximal pflichtgemäß zur Kenntnis nehmen musste, aber nicht
wollte, schickte er die Zweitbesetzung.
Dies hat sich völlig
gewandelt. Auch zu den Anlässen, die der Bürgermeister in der Vergangenheit mit
Zähnen und Klauen gegen jeden verteidigte, der sich in den Vordergrund drängen
wollte, sieht man nur noch den Ersten Stadtrat. Großformatig und kleingerastert
erblickt man ihn, wie er Hände schüttelt, Schecks greift, Defillibratoren
testet oder diesem und jenen zuprostet.
Der Stellvertreter ist seit
Dezember auf ganz großer Tour und omnipräsent.
Ein Bürgermeister ist der Regent
einer Stadt und soll als solcher überparteilich agieren. Der vollständige
Rückzug aus der Öffentlichkeit zugunsten eines Mannes, der seine Bewerbung um
die Nachfolge erklärt hat, hat jedoch mit diesem Gebot nichts zu
tun. Terminprobleme, Erkältungen, Urlaube, Sitzungen sind nur fadenscheinige Ausreden dafür, dass der aktuelle Nochbürgermeister dem Mann, den er als seinen Nachfolger sehen
möchte, gezielt jeden
Auftritt außerhalb des Rathauses überlässt. Der Wahlkampf hat längst begonnen – und der noch amtierende Bürgermeister
ist mittendrin. Als offener Parteigänger, und er tut alles, den von seiner
Fraktion gewollten Kandidaten ins Scheinwerferlicht zu stellen.
Rückzug aus der Öffentlichkeit: Eine
interessante, ganz neue Form der Wahlkampfhilfe.
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