Freitag, 27. März 2015

Mörderische Geisterfahrt - Was ist mit den Helfern?



Es war ein Mittwoch und ich wollte vom ICE-Bahnhof aus rechts abbiegen, als ich ein Martinshorn hörte und stoppte. Von Lindenholzhausen kam mit hoher Geschwindigkeit ein dunkler VW-Bus, mit vollem Konzert und einem Blaulichtbalken auf dem Armaturenbrett.
Ein solches Fahrzeug findet sich soweit ich weiß nicht im Fuhrpark der Limburger Polizeistation. Die Eile und die Richtung, aus der die Beamten kamen, sagten mir zweierlei. Es war etwas passiert. Und es war schlimm. Wirklich schlimm.
Zu Hause angekommen, bestätigte eine schnelle Recherche im Netz meine Befürchtungen. Ein Todesopfer durch einen Geisterfahrer auf der „Meil“ war zu beklagen. Doch was an Nachrichten kurz darauf folgte, war noch viel übler. Der Verursacher wurde von der Polizei angehalten und floh, entgegen der Fahrtrichtung. Und eine junge Frau musste deswegen sterben.
Mord?
Ich habe vier Kinder und das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist es, eins davon zu verlieren. Es sagt sich immer so leicht, dass die Gedanken bei der Familie, den Freunden und allen anderen Hinterbliebenen sind. Bei mir war sie es wirklich und sie ließen sich nicht leicht verdrängen, so sehr ich mich auch bemühte. Ich kenne diese Nächte leider aus eigenem Erleben. Nächte in denen man sich mit allem gegen das wehrt, was geschehen ist und es nicht wahr haben will. Doch man kann nur hilf- und fassungslos da sitzen und darauf warten, dass die Sonne vielleicht doch noch einmal aufgeht. Über einer Welt, in der nun ein Mensch für immer fehlen wird.
Ich dachte in dieser Nacht auch an andere. Wie würden sich die Polizisten fühlen, die beteiligt waren? Würden nicht auch sie immer wieder von vorne anfangen, mit denselben Gedanken? Was wäre gewesen, wenn? Hätten wir das verhindern können? Haben wir etwas falsch gemacht? Mussten wir damit rechnen, dass der Routineeinsatz in eine solche Katastrophe führen würde?
Der nächste Tag brachte neue Erkenntnisse, die all das Geschehen noch schlimmer machten. Viel, viel schlimmer. Ein Mann, der wegen exakt solcher Delikte im Gefängnis saß, hatte während eines Hafturlaubs genau dort weitergemacht, wo er aufgehört hatte. Er war ohne Führerschein und mit gestohlenen Kennzeichen zum Rasen gefahren.
„Mord“, war mein Gedanke.
Was er getan hatte, trug für mich alle Merkmale dieses Tatbestands. Doch resigniert dachte ich, dass am Ende vielleicht wieder einmal eine fahrlässige Tötung dabei herauskommen würde. Wenn überhaupt. Die mit Reststrafen aus anderen Taten zusammengelegt und mit einem ordentlichen Rabatt versehen dafür sorgen würde, dass der Täter bald wieder unter uns wäre. Und uns alle bedrohen würde. Mich genau so wie meine Kinder.
Doch es geschah ein Wunder in der Bischofsstadt. Die Staatsanwaltschaft teilte meine Meinung! Sie ermittelte tatsächlich wegen Mordverdachts gegen den Geisterfahrer. Angeblich hatte dieser angekündigt, genau so zu handeln, sollte ihn die Polizei noch einmal erwischen.
Die Ermittlungen haben nun ein Ende. Die Presse meldet fälschlicherweise, dass Anklage wegen Mordes gegen den (mutmaßlichen, jaja…) Verbrecher erhoben wird. Wie mich ein freundlicher Kollege (ich bezeichne den betreffenden, freien Reporter jetzt einfach mal als solchen, auch wenn er mir selbst den Status eines Journalisten nicht zubilligt) hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass die Staatsanwaltschaft bis jetzt lediglich die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Mordes beantragt hat. Ob dem stattgegeben und die Anklage zugelassen wird, muss nun das Gericht entscheiden.
Es bleibt abzuwarten, was geschehen wird.
Was mich aber immer wieder beschäftigt sind Fragen. Fragen, die einfach nicht gestellt werden, obwohl sie doch so naheliegend sind. Für mich zumindest. Dabei sind sie meiner Meinung nach für die vollständige Aufklärung und insbesondere das Nachvollziehen von Verantwortlichkeiten zentral.
Kleine Presseschau: Bundesweites Aufsehen
Bis jemand wegen Verkehrsdelikten wie Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wird, muss er genau dieses Delikt zigmal verübt und den Langmut auch des verständnisvollsten Richters bis zum Zerreißen strapaziert haben. Bei dem Täter war das der Fall. Aber obwohl er damit erwiesenermaßen eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellte, erhielt er Hafturlaub.
Wer hat diesen genehmigt?
Wie sollte sichergestellt werden, dass er nicht umgehend wieder hinter dem Steuer eines Autos sitzt?
Gab es psychologische Gutachten? Sozialprognosen? Und falls ja, wie falsch durften diese sein?
Hat ihn während seines Hafturlaubs jemals irgendjemand überraschend besucht um zu sehen, was er so treibt?
Nichts davon wurde jemals erörtert. Und die Fragen gehen noch weiter.
Wieso war ein Mann mit einer solchen Strafe noch Eigentümer eines Autos?! Warum wurde dieses als Tatwerkzeug seiner vorherigen Vergehen nicht eingezogen?
Wer wusste davon, dass der spätere, mutmaßliche Mörder diesen Passat besaß? Wo war das Auto geparkt? Wer hat die Schlüssel verwahrt und wie ist der Täter an sie gelangt? Hat sie ihm jemand gegeben? Hat jemand gesehen, dass er mit diesem Wagen gefahren ist? War es vielleicht nicht das erste Mal?
Je tiefer man gräbt, desto weniger Antworten findet man.
Der Wagen fiel der Streife auf, weil er Kennzeichen trug, die als gestohlen gemeldet und in der Fahndung waren.
Seit mehr als einem VIERTELJAHR!
Wie war es möglich, dass ein bekannter Straftäter einen nicht zugelassenen Wagen besaß, an dem gestohlene Kennzeichen befestigt waren? Und offenbar bei jedem Hafturlaub mit diesem Auto in der Gegend herum raste, ohne dass IRGENDJEMANDEM das auch nur ein einziges Mal auffiel?
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Umfeld des (mutmaßlichen, jaja…) Täters haben erst dazu geführt, den Mordverdacht in Betracht zu ziehen.
Das wirft für mich aber eine ganz zentrale Frage auf: Wer wusste was?
Kann man wirklich so tun, als sei jemand in der Lage, völlig unbemerkt solch ein Verhalten an den Tag zu legen? Ist nicht eher zu vermuten, dass der für genau diese Taten Verurteilte über einen gleichgesinnten Freundeskreis verfügt, der bestens Bescheid wusste, was er bei jedem Hafturlaub trieb? Einen Freundeskreis, der sich vielleicht mit ihm gemeinsam über die blinde und dämliche Justiz und Polizei mokierte, die überhaupt nichts mitbekam?
Es gibt keine Pflicht, ein Verbrechen zu melden, das einem bekannt wird.
Aber wer eine GEPLANTE Tat, von der er Kenntnis erhält, nicht anzeigt, macht sich strafbar.
Und von dort zur Beihilfe ist es nur ein ganz kleiner Schritt.


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