Freitag, 6. März 2015

Alles für Einen



Der sogenannte dritte Bauabschnitt ist eröffnet – und alle kamen. Nun gut, vielleicht nicht alle, aber einige. Wenn man einmal dort war, konnte man die Menschen nicht übersehen.
Anders als angekündigt, wälzten sich aber keine Ströme von Kaufrauschwilligen durch die Stadt in Richtung Bahnhof. Selbst wenn man direkt vor dieser architektonischen Katastrophe der 70er Jahre stand, konnte man nicht sofort vermuten, dass da rechts, hinter dem überbauten Durchgang, irgendwas Weltbewegendes und Epochales stattfand. Außer Bastelarbeiten vielleicht. Denn herumlungernde Bauzäune, -fahrzeuge und Warnwestenträger signalisierten konstruierende Tätigkeiten und vor allem eins: Wir sind noch nicht fertig.
Tritt man durch den zugigen Portikus, schwingt sich eine hohe Fassade von links nach rechts und eine werbetransparentbepflasterter Turm versucht zu signalisieren: „Kauft!“.
Dann öffnet man eine Glastür und…
Oha.
Einfach... Schön.
Teil 1 und 2 der Werkstadt bestehen aus einer kalten Ex-Industriehalle, die mit Standardladenbauten ohne jede Gestaltung jenseits geometrischer Grundformen zugewürfelt wurde. 
Das große, kalte, banale Nichts.
Teil 3 ist anders.
Ich empfinde Bauabschnitt 3 als ein großartiges Stück moderne Architektur. Eine glasüberdachte Straße, die die wunderbar gereinigten und instandgesetzten Backsteinfronten einstiger Werkstattgebäude mit Neubauten auf der anderen Seite verbindet – oder, was herausragend gelungen ist, bestehende, einst im Freien befindliche Gebäude heraushebt und gleichzeitig integriert.
Als Liebhaber der phantasievollen UND funktionalen Architektur an sich, der selbst diverse Häuser eingerissen und aufgebaut hat, möchte ich an dieser Stelle dem Architekten Kramm und seinem Team ein ehrliches Kompliment und meine Hochachtung aussprechen. Hier ist wirklich Großes gelungen. Die luftige Halle ist eine wunderbare Verbindung zwischen historischer Bausubstanz und Moderne, die beidem gerecht wird und absolut nichts Provinzielles an sich hat.
Das waren die guten Nachrichten. Der Bau an sich.
Kommen wir zu seiner Nutzung. Das Wort für das Gefühl, das sich beim Wandeln in der Halle bei mir einstellte ist: ambivalent.
Haus im Haus
Es gibt eine proppevolle Bäckereifiliale einer mir bis dahin unbekannten Kette, die es schafft, ein etwas anderes Sortiment anzubieten als der Selbstaufbacker an der Ecke. Die echte, belegte Stulle, einfach eine geniale Idee. Hier könnte Konkurrenz wirklich das Geschäft beleben.
Spannend ist, dass es statt Mechanik nun glückliche Kartoffeln gibt. Betrachtet man sich die Fläche, die der neue Biosupermarkt einnimmt, fragt man sich noch einmal, wer jemals auf die Idee kommen konnte, auf so wenigen m² ein „Museum“ einzurichten, das 85.000 Menschen zum Kommen UND Bezahlen animieren sollte.
Ein paar Bekleidungs-Markengeschäfte der gehobenen Art sind zu vermelden, die gut frequentiert wurden. Doch dazwischen fand ich immer wieder Läden, die gähnend leer waren. Vermietet, aber entvölkert. Es spazierten Hunderte von Menschen der unterschiedlichsten Art, Nationalität, Gesinnung und Einkommensklasse herum, aber in einigen der gerade eröffneten Unternehmen war – NIEMAND.
Im großen Eiscafé direkt gegenüber der Bäckerei (ebenfalls mit Café), die aus allen Nähten platzte: 4 (vier) Gäste. Fast 20 Kellner und Kellnerinnen standen ratlos zwischen den Tischen und an der Theke. Ich habe selten so viel Frust auf den Gesichtern einer ganzen Familie gesehen. Da wird über Monate oder Jahre auf den großen Tag der Eröffnung hin geplant – und dann kommt KEINER.
Ich mag hier nicht über Sinn und Unsinn von Geschäftsideen und –partnerschaften philosophieren. Es ist mir zu Genüge zugetragen worden, welche Stimmung angeblich unter den Mieter der Werkstadt herrscht. Von Extremmieten ist die Rede, die das Vierfache des ortsüblichen betragen. Davon, dass die Ladenbetreiber ALLE Nebenkosten des Gebäudes und insbesondere auch die Beheizung des allgemeinen Teils zu tragen haben. Von Knebelverträgen ist die Rede, in denen Ladenöffnungszeiten vorgeschrieben werden, die einseitig vom Vermieter noch verlängert werden können. 
Zahnräder, Hebel, Rollen und Keile? Vollbiologisch?
Zu dem Thema sage ich nur: Ab 18 ist man voll geschäftsfähig und muss wissen, was man tut. Wenn man der Ansicht ist, man sei in der Lage, mit dem Verkauf von Filzpantöffelchen in einem Laden, der 16 Stunden am Tag vertraglich geöffnet sein muss (6 Tage/Woche), alle 24 Stunden Fixkosten von 500 Euro zu erwirtschaften, dann wünsche ich viel Glück. Es gibt Taschenrechner. Jeder kann selbst kalkulieren, ob seine Vision irgendwas mit der Realität zu tun hat. Wer das Ergebnis einer seriösen Wirtschaftsplanung nicht glaubt, wird es spätestens nach einem Jahr merken. Wenn die Insolvenz ansteht. Und dann wird er wahrscheinlich die gesamte Familie bis in die dritte Generation mit in den Abgrund reißen.
Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es mir jedenfalls ein Rätsel, wie wenigstens bei 1/3 der Geschäfte in Abschnitt 3 jemand auf die Idee kommen kann, sie seien profitabel zu führen.
In den älteren Bauabschnitten sowieso. Erwähnt sei da der Elektromarkt mit seinem Minisortiment, der selbst in Stoßzeiten ein Kunden-Berater-Verhältnis von 1:1 aufweist. Gestern war ich übrigens so verwegen, dort ein Cinch/XLR Kabel zu suchen. Das Ergebnis muss ich wohl nicht erwähnen.
Aber diese Aspekte betreffen unternehmerische Fragen, die die Ladeninhaber sich selbst zu beantworten haben.
Was für mich so bedenklich ist, ist die extreme Diskrepanz zwischen dem, was von dem einen Politiker des Betreibers gesagt wird  und dem, was der Unternehmer selbst tut und getan hat.
Es ist die Rede von einem ehemaligen Industrieareal inmitten der Stadt. Das ist Unsinn und wird durch ständige Wiederholung nicht wahr. Das Bahnausbesserungswerk lag AM RANDE der Kernstadt und die Werkstadt befindet sich nun an genau derselben Stelle. NICHTS bindet das neue Einkaufsparadies an die Innenstadt. Es wird vollständig von der anderen Seite her erschlossen und es wurden keinerlei ernstzunehmende Anstrengungen unternommen, Besucher der Hallen auch nur davon in Kenntnis zu setzen, dass es dort draußen noch eine Welt gibt. Jenseits der Parkplätze.
Angeblich sollte einmal der neue „Torbau“ die große Pforte zur Integration von Werkstadt und Zentrum darstellen. Davon ist nichts zu merken. Die neue Wandelhalle führt direkt in eine optische Sackgasse: Hier Ende Gelände.
Umgekehrt ist es ganz genauso. Nichts deutet darauf hin, dass sich hinter dem Bahnhof (denn dort wird es auch für alle Ewigkeit bleiben, egal was Sonntagsredner faseln) ein Monster von einem Einkaufszentrum befindet.
Beides dokumentiert die Realität und die Grundhaltung. Die Werkstadt BRAUCHT die Limburger Innenstadt nicht. Weder um sie zu erreichen, noch um sie zu verlassen. Im Gegenteil. Die Werkstadtbetreiber müssen mit allen Mitteln verhindern, dass Kaufpublikum in Richtung Innenstadt abfließt und damit die Verweildauer in der Mall sinkt. Jeder, der aus der Werkstadt Richtung Innenstadt geht, ist ein verlorener Kunde.
Zur selben Zeit am Neumarkt...
Die Gestaltung belegt dies für mich eindeutig. Es ging und geht nicht darum, die Werkstadt an Limburg anzuschließen. Es geht darum, das Paradies von Limburg abzuschotten.
Die Werbekampagne des Betreibers zielte von Anfang an darauf hin, den Konsumenten klar zu machen, dass ein Wandel eingetreten ist. Wenn er früher „in die Stadt“ (also nach Limburg, was für jemanden, der in Millionenstädten gelebt hat, noch immer schwer über die Tastatur geht…) gefahren ist, um einzukaufen, soll er nun „in die Stadt“ mit „in die Werkstadt“ gleichsetzen. Hier gibt es alles unter einem Dach und es ist nicht mehr erforderlich, lange Fußmärsche bei Wind und Wetter durch missgestaltete Straßen und zerfaserte Angebotsinfrastruktur zu unternehmen. Das konsumtechnische Heil liegt hinter dem Bahnhof. Und nur dort.
Die Werkstadt bringt Limburg keine neuen Kunden. Sie saugt der Innenstadt nur die alten ab. Das war von vorn herein das Ziel der Unternehmungen und dem wurde alles untergeordnet. Öffentlich kommuniziert wurde natürlich immer etwas völlig Anderes.
Doch hinter verschlossenen Türen... Ein Hauptargument bei der Vermietung der Flächen zu Mondpreisen war in den Verhandlungen (wie man hört) immer wieder die Verlagerung der Kundenströme aus den alteingestammten Einkaufsquartieren in den Zentraltempel. Wer nicht mit der Zeit geht und mit umzieht, wird untergehen, war die Botschaft.
Verbundenes Quartier: leer
Von tausend neuen Arbeitsplätzen ist die Rede, die die Werkstadt geschaffen hätte. Falls die Zahl überhaupt stimmt, wurden sie nicht geschaffen. Sie haben sich nur verlagert. Für fast jedes Unternehmen, das in dem Bau eingezogen ist, wurde an anderer Stelle eins geschlossen. Es gab auch nie einen ungedeckten Bedarf an Ladenfläche, den die Werkstadt befriedigen musste. In der Innenstadt schließt ein Geschäft nach dem anderen und der Leerstand nimmt dramatische Züge an.
Die Werkstadt hat bereits begonnen, das kaufmännische Gefüge Limburgs massiv zu verschieben und es wird noch schlimmer werden. Von Seiten der Stadt gibt es ein wenig Alibi-Tünche (finanziert aus fremden Kassen) und hohle Worte. Die von dem Exodus betroffenen Hausbesitzer werden nicht gefragt, was vor ihren leeren Läden passieren wird (und wofür sie auch noch bezahlen sollen) und Geschäftsleute, die aufgeben müssen, sind nicht einmal ein Thema.
„Räume verbinden Quartiere“ heißt das Programm, mit dem die Stadt Limburg angeblich Anstrengungen unternimmt, die Kernstadt attraktiv und lebendig zu machen. Dabei hat sie alles getan, die gewachsenen Strukturen zu zerstören und hat dabei jeden Einfluss auf die Zukunft und Entwicklung des Einzelhandels in Limburg längst verschenkt.

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