Wenn ein Kandidat um das Amt des
Bürgermeisters einen (wie er hofft) zukünftigen Kollegen zu einer Veranstaltung
einlädt und dieses Zusammentreffen dann auch in einem der unerotischsten Bauwerke Limburgs stattfindet (Kohlmaier-Halle-Nebenraum/Kabarett/Wahllokal),
dann kann man davon ausgehen, dass die Resonanz nicht die Größte sein wird.
Das war sie am vergangenen
Freitag auch tatsächlich nicht – zumindest nicht unter denen, deren
Mobilisierung und Überzeugung das Ziel eines Wahlkampfs für gewöhnlich ist: Jene,
die nicht erklärte Anhänger des veranstaltenden Kandidaten sind, blieben
überwiegend fern. Der Raum, der von Ausstattung und Mobiliar an eine
Schulklasse der Siebziger Jahre erinnert, war zwar gut gefüllt, allerdings in
erster Linie mit Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den
BM-Kandidaten Dr. Marius Hahn zu unterstützen. Man war zwar zahlreich, aber
trotzdem eher unter sich.
Zäh gestaltete sich der Beginn
des Abends. Der Moderator kündigte an, dass es in erster Linie um einen Dialog
zwischen dem eigenen Kandidaten, dem Besucher Sven Gerich und den Anwesenden
ging. Danach verfiel er allerdings in einen längeren Monolog mit Lobpreisungen
sowohl des Bewerbers als auch des siegreichen Oberbürgermeisters von Wiesbaden,
der dieses Amt seit einem Sensationssieg in einer Stichwahl vor zwei Jahren
bekleidet. Als Sven Gerich endlich das Wort erteilt wurde, kam er sympathisch
und authentisch daher und vermittelte eine bemerkenswerte Energie und
Begeisterung für seinen Job, ohne erkennbare Abnutzungserscheinungen zu zeigen.
Er gab sich als wortgewandter, aufmerksamer und interessierter Besucher, der die
Veranstaltung nicht an sich riss, sondern es dem Gastgeber überließ, durch das
Programm zu führen. So ganz klar war sich der Mann am Ruder aber allem Anschein
nach nicht über den Kurs. Jedenfalls blieben die immer wieder gewünschten
Fragen aus dem Publikum aus. Nach einigem Zögern gab es zwar Wortmeldungen,
aber was man von dem Besucher und dem Kandidaten wissen wollen sollte, war der
Gemeinde der Unterstützer offenbar nicht ausreichend mitgeteilt worden
Jedenfalls kamen in erster Linie Statements. Es fand sich eine ziemliche
Bandbreite an Äußerungen und Äußerern. Es gab Limburger Originale mit
originellem Mobilisierungsappell. Eine mit Selbstlob garnierte Generalkritik am
desinteressierten Bürger an sich durch einen Kleinlobbyisten. Und einen eher
amüsanten Detailhilfsappell (die Wand ist nass wegen Nachbars Tomaten…).
Sven Gerich, OB, WI, Veränderer aus Überzeugung |
Es schien so, als ob die
Veranstaltung ganz in Richtung eines freundlichen, großen Familientreffens
abdriften würde, da beschloss ich, die Position des stillen Beobachters
aufzugeben und tatsächlich eine echte Frage zu stellen.
Ich wollte von Sven Gerich
wissen, wie es ihm denn in den zwei Jahren nach seinem Sieg ergangen war. Es
ist nämlich die eine Sache, das Ungeheuer zu besiegen oder den Tyrannen zu
stürzen. Im Roman kommt an dieser Stelle das schöne Wörtchen ENDE. Im wahren
Leben hat dann aber das Volk seinen Auftritt und ruft „Wir haben aber immer
noch Hunger, fütter uns!“
Sven Gerichs Antwort überraschte
mich sehr, denn er brachte dabei Aspekte ins Spiel, die ich bisher noch nie
bedacht hatte. Der Wiesbadener OB, der mit Begeisterung auf die Frage einging
(nein, ich hatte vorher noch nie mit ihm gesprochen und war auch nicht als
Stichwortgeber bezahlt…), versuchte zu erklären, dass es für eine erfolgreiche
Politik als Erster Bürger (so sie denn dem Menschen dienen soll, nicht
irgendeinem Unternehmen oder Konzern) elementar ist, eine innere Demokratie herzustellen
und zu leben. Eine Verwaltung, die zum bloßen Befehlsempfänger der herrschenden
Politiker degradiert worden war, musste neu motiviert werden. Wenn man sowieso
keinen Einfluss hat, trotz aller Warnungen Entscheidungen getroffen werden, die
nur wenigen dienen oder ins Desaster führen, dann zieht sich die Verwaltung
irgendwann auf Dienst nach Vorschrift zurück, oder, was schlimmer ist, sie gibt
den Druck von oben einfach nach unten weiter. Die Bürger gehören irgendwann der
Stadt, nicht umgekehrt und haben unter Drohung einfach zu funktionieren. Und
nichts zu erwarten oder fordern.
Die allererste Aufgabe im neuen
Amt für den frisch gewählten OB war daher, die Mitarbeiter der Verwaltung auf
seine Seite zu ziehen. Klare Zielvorgaben waren dabei der Schlüssel,
Transparenz in Überlegungen und Entscheidungen– UND das Übertragen von
Verantwortung an Menschen in den ausführenden Positionen. Die Mitarbeitern
mussten erst neu lernen, dass Vorschläge und Ideen nicht mehr als lästig und
querulantisch betrachtet wurden, sondern ausdrücklich willkommen waren, um die
neu definierte Aufgabe gemeinsam anzugehen: Dafür zu sorgen, dass es den
Bürgern der Stadt besser geht.
Sven Gerich führte einige
konkrete Veränderungen an, die er in der kurzen Zeit bereits durchsetzen
konnte, wozu auch zentral die Demokratie nach außen gehört. Genauso wie seinen
Verwaltungsmitarbeitern klar gemacht werden musste, dass sie nicht länger die
Hampelmänner von Klientelpolitik (meine Formulierung, er drückte sich sehr viel
diskreter aus…) waren, wollte er dem Bürger an sich zeigen, dass er nicht
länger nur Stimmvieh und Weichziel der Politik sein sollte (ebenfalls meine
Formulierung). Sondern als Bürger der Stadt der Arbeitgeber der Verwaltung und
damit jemand, der einen Anspruch darauf hat, ernst genommen und gehört zu
werden. Auch hier soll in Zukunft das Zauberwort „Transparenz“ sein. Ein
Bürgerbüro soll dafür sorgen, dass Anliegen der Menschen nicht mehr mit
anderthalbjähriger Verspätung per Dreizeiler abschlägig beschieden werden,
sondern dass entsprechend geschulte, kompetente und vor allem verantwortliche
Mitarbeiter dafür sorgen, dass man sich der Probleme annimmt.
Das Bemerkenswerte und für mich Eindrucksvollste
war an dem Wortbeitrag Sven Gerichs, dass er genau diese Überzeugung
tatsächlich vermittelte. Wenn man den Mensch in den Mittelpunkt der Politik
stellt und eine treue und kompetente Gefolgschaft innerhalb der ausführenden
Organe auf seine Seite zieht, kann man tatsächlich etwas verändern, das war
seine Botschaft.
Was bedeutet das nun für Limburg?
Meines Erachtens hat Sven Gerich
mit seiner eher diskreten Analyse der Situation in Wiesbaden bei seinem
Amtsantritt die aktuelle Limburger Lage bestens beschrieben. Die Menschen, die
in Limburg in der Verwaltung sitzen, finden sich seit Jahrzehnten zwischen Baum
und Borke. Bis auf vielleicht einen, bestens bekannten bis berüchtigten Vertreter
ihrer Gattung, sind sie gezwungen, jede Anordnung durchzuprügeln, sei ihre
Legitimität auch noch so zweifelhaft. Gibt es deswegen Schwierigkeiten oder
Klagen, distanziert sich der oberste Dienstherr oder einer seiner
Abteilungsleiter umgehend und den Fehler hat ausschließlich derjenige gemacht,
der nur versucht hat, seinen Befehl um jeden Preis umzusetzen. „Da hat
er/sie/es seine Kompetenzen überschritten“, heißt es dann lapidar und der
Mitarbeiter steht im Regen. Alleine.
Leidtragender ist so oder so der
Bürger, der sicher sein kann, dass ein Anliegen von ihm oder gar eine berechtigte
Forderung auf gar keinen Fall zeitnahe irgendeine Form von Gehör findet. Eine
Verwaltung in der „inneren Emigration“ ist das Schlimmste, was einer Stadt
passieren kann.
Ich gebe zu, dass ich als ständig
von Verwaltungswillkür Betroffener diesen Aspekt nie gesehen und mich auch nicht
dafür interessiert habe. Da der/die Machthaber selbst etwa so leicht zu greifen
sind/waren, wie ein Stück nasse Seife, habe ich meinen Ärger über behördliche
Willkür/Inkompetenz/Rechtswidrigkeit immer direkt mit den ausführenden Organen
in Verbindung gebracht und diese genauso als Feinde betrachtet, wie sie mich
als renitentes Einwohnersubjekt.
Sven Gerich habe ich es zu verdanken,
dass ich hier auch einmal über den Tellerrand schauen durfte und einen Einblick
in unbekannte Aspekte der Organisation eines Gemeinwesens erhalten habe.
Einem neuen Bürgermeister steht
in jedem Fall eine große Aufgabe bevor, falls er es in Angriff nehmen will,
innere und äußere Demokratie durchzusetzen und nicht alles einfach beim Alten
belassen will. Ein Weg zu diesem Ziel wurde am Freitagabend unerwarteterweise
aufgezeigt.
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