Montag, 16. März 2015

Der Mensch im Mittelpunkt. Geht das in Limburg?



Wenn ein Kandidat um das Amt des Bürgermeisters einen (wie er hofft) zukünftigen Kollegen zu einer Veranstaltung einlädt und dieses Zusammentreffen dann auch in einem der unerotischsten Bauwerke Limburgs stattfindet (Kohlmaier-Halle-Nebenraum/Kabarett/Wahllokal), dann kann man davon ausgehen, dass die Resonanz nicht die Größte sein wird.
Das war sie am vergangenen Freitag auch tatsächlich nicht – zumindest nicht unter denen, deren Mobilisierung und Überzeugung das Ziel eines Wahlkampfs für gewöhnlich ist: Jene, die nicht erklärte Anhänger des veranstaltenden Kandidaten sind, blieben überwiegend fern. Der Raum, der von Ausstattung und Mobiliar an eine Schulklasse der Siebziger Jahre erinnert, war zwar gut gefüllt, allerdings in erster Linie mit Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den BM-Kandidaten Dr. Marius Hahn zu unterstützen. Man war zwar zahlreich, aber trotzdem eher unter sich.
Zäh gestaltete sich der Beginn des Abends. Der Moderator kündigte an, dass es in erster Linie um einen Dialog zwischen dem eigenen Kandidaten, dem Besucher Sven Gerich und den Anwesenden ging. Danach verfiel er allerdings in einen längeren Monolog mit Lobpreisungen sowohl des Bewerbers als auch des siegreichen Oberbürgermeisters von Wiesbaden, der dieses Amt seit einem Sensationssieg in einer Stichwahl vor zwei Jahren bekleidet. Als Sven Gerich endlich das Wort erteilt wurde, kam er sympathisch und authentisch daher und vermittelte eine bemerkenswerte Energie und Begeisterung für seinen Job, ohne erkennbare Abnutzungserscheinungen zu zeigen. Er gab sich als wortgewandter, aufmerksamer und interessierter Besucher, der die Veranstaltung nicht an sich riss, sondern es dem Gastgeber überließ, durch das Programm zu führen. So ganz klar war sich der Mann am Ruder aber allem Anschein nach nicht über den Kurs. Jedenfalls blieben die immer wieder gewünschten Fragen aus dem Publikum aus. Nach einigem Zögern gab es zwar Wortmeldungen, aber was man von dem Besucher und dem Kandidaten wissen wollen sollte, war der Gemeinde der Unterstützer offenbar nicht ausreichend mitgeteilt worden Jedenfalls kamen in erster Linie Statements. Es fand sich eine ziemliche Bandbreite an Äußerungen und Äußerern. Es gab Limburger Originale mit originellem Mobilisierungsappell. Eine mit Selbstlob garnierte Generalkritik am desinteressierten Bürger an sich durch einen Kleinlobbyisten. Und einen eher amüsanten Detailhilfsappell (die Wand ist nass wegen Nachbars Tomaten…).
Sven Gerich, OB, WI, Veränderer aus Überzeugung
Es schien so, als ob die Veranstaltung ganz in Richtung eines freundlichen, großen Familientreffens abdriften würde, da beschloss ich, die Position des stillen Beobachters aufzugeben und tatsächlich eine echte Frage zu stellen.
Ich wollte von Sven Gerich wissen, wie es ihm denn in den zwei Jahren nach seinem Sieg ergangen war. Es ist nämlich die eine Sache, das Ungeheuer zu besiegen oder den Tyrannen zu stürzen. Im Roman kommt an dieser Stelle das schöne Wörtchen ENDE. Im wahren Leben hat dann aber das Volk seinen Auftritt und ruft „Wir haben aber immer noch Hunger, fütter uns!“
Sven Gerichs Antwort überraschte mich sehr, denn er brachte dabei Aspekte ins Spiel, die ich bisher noch nie bedacht hatte. Der Wiesbadener OB, der mit Begeisterung auf die Frage einging (nein, ich hatte vorher noch nie mit ihm gesprochen und war auch nicht als Stichwortgeber bezahlt…), versuchte zu erklären, dass es für eine erfolgreiche Politik als Erster Bürger (so sie denn dem Menschen dienen soll, nicht irgendeinem Unternehmen oder Konzern) elementar ist, eine innere Demokratie herzustellen und zu leben. Eine Verwaltung, die zum bloßen Befehlsempfänger der herrschenden Politiker degradiert worden war, musste neu motiviert werden. Wenn man sowieso keinen Einfluss hat, trotz aller Warnungen Entscheidungen getroffen werden, die nur wenigen dienen oder ins Desaster führen, dann zieht sich die Verwaltung irgendwann auf Dienst nach Vorschrift zurück, oder, was schlimmer ist, sie gibt den Druck von oben einfach nach unten weiter. Die Bürger gehören irgendwann der Stadt, nicht umgekehrt und haben unter Drohung einfach zu funktionieren. Und nichts zu erwarten oder fordern.
Die allererste Aufgabe im neuen Amt für den frisch gewählten OB war daher, die Mitarbeiter der Verwaltung auf seine Seite zu ziehen. Klare Zielvorgaben waren dabei der Schlüssel, Transparenz in Überlegungen und Entscheidungen– UND das Übertragen von Verantwortung an Menschen in den ausführenden Positionen. Die Mitarbeitern mussten erst neu lernen, dass Vorschläge und Ideen nicht mehr als lästig und querulantisch betrachtet wurden, sondern ausdrücklich willkommen waren, um die neu definierte Aufgabe gemeinsam anzugehen: Dafür zu sorgen, dass es den Bürgern der Stadt besser geht.
Sven Gerich führte einige konkrete Veränderungen an, die er in der kurzen Zeit bereits durchsetzen konnte, wozu auch zentral die Demokratie nach außen gehört. Genauso wie seinen Verwaltungsmitarbeitern klar gemacht werden musste, dass sie nicht länger die Hampelmänner von Klientelpolitik (meine Formulierung, er drückte sich sehr viel diskreter aus…) waren, wollte er dem Bürger an sich zeigen, dass er nicht länger nur Stimmvieh und Weichziel der Politik sein sollte (ebenfalls meine Formulierung). Sondern als Bürger der Stadt der Arbeitgeber der Verwaltung und damit jemand, der einen Anspruch darauf hat, ernst genommen und gehört zu werden. Auch hier soll in Zukunft das Zauberwort „Transparenz“ sein. Ein Bürgerbüro soll dafür sorgen, dass Anliegen der Menschen nicht mehr mit anderthalbjähriger Verspätung per Dreizeiler abschlägig beschieden werden, sondern dass entsprechend geschulte, kompetente und vor allem verantwortliche Mitarbeiter dafür sorgen, dass man sich der Probleme annimmt.
Das Bemerkenswerte und für mich Eindrucksvollste war an dem Wortbeitrag Sven Gerichs, dass er genau diese Überzeugung tatsächlich vermittelte. Wenn man den Mensch in den Mittelpunkt der Politik stellt und eine treue und kompetente Gefolgschaft innerhalb der ausführenden Organe auf seine Seite zieht, kann man tatsächlich etwas verändern, das war seine Botschaft.
Was bedeutet das nun für Limburg?
Meines Erachtens hat Sven Gerich mit seiner eher diskreten Analyse der Situation in Wiesbaden bei seinem Amtsantritt die aktuelle Limburger Lage bestens beschrieben. Die Menschen, die in Limburg in der Verwaltung sitzen, finden sich seit Jahrzehnten zwischen Baum und Borke. Bis auf vielleicht einen, bestens bekannten bis berüchtigten Vertreter ihrer Gattung, sind sie gezwungen, jede Anordnung durchzuprügeln, sei ihre Legitimität auch noch so zweifelhaft. Gibt es deswegen Schwierigkeiten oder Klagen, distanziert sich der oberste Dienstherr oder einer seiner Abteilungsleiter umgehend und den Fehler hat ausschließlich derjenige gemacht, der nur versucht hat, seinen Befehl um jeden Preis umzusetzen. „Da hat er/sie/es seine Kompetenzen überschritten“, heißt es dann lapidar und der Mitarbeiter steht im Regen. Alleine.
Leidtragender ist so oder so der Bürger, der sicher sein kann, dass ein Anliegen von ihm oder gar eine berechtigte Forderung auf gar keinen Fall zeitnahe irgendeine Form von Gehör findet. Eine Verwaltung in der „inneren Emigration“ ist das Schlimmste, was einer Stadt passieren kann.
Ich gebe zu, dass ich als ständig von Verwaltungswillkür Betroffener diesen Aspekt nie gesehen und mich auch nicht dafür interessiert habe. Da der/die Machthaber selbst etwa so leicht zu greifen sind/waren, wie ein Stück nasse Seife, habe ich meinen Ärger über behördliche Willkür/Inkompetenz/Rechtswidrigkeit immer direkt mit den ausführenden Organen in Verbindung gebracht und diese genauso als Feinde betrachtet, wie sie mich als renitentes Einwohnersubjekt.
Sven Gerich habe ich es zu verdanken, dass ich hier auch einmal über den Tellerrand schauen durfte und einen Einblick in unbekannte Aspekte der Organisation eines Gemeinwesens erhalten habe.
Einem neuen Bürgermeister steht in jedem Fall eine große Aufgabe bevor, falls er es in Angriff nehmen will, innere und äußere Demokratie durchzusetzen und nicht alles einfach beim Alten belassen will. Ein Weg zu diesem Ziel wurde am Freitagabend unerwarteterweise aufgezeigt.

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