Das schöne Wetter der letzten Tage
bevölkert nun wieder Plätze und Gassen
der Altstadt. Hatte der Anwohner vor Wochenfrist noch die Auswahl, wenn er
einen Sitzplatz suchte, hat er nun Schwierigkeiten, überhaupt einen Stuhl zu
finden, der nicht von einem der busweise ausgestoßenen Einen-Kaffee-in-zwei-Stunden-Trinker
okkupiert ist. Der gemeine Halbtagstourist macht seine Aufwartung und begibt
sich, so er nicht von einem der stadtführenden Wesen auf eine der inhaltlich
und wegetechnisch sehr variablen Touren geleitet wird, gruppenweise auf die
Suche. Nach dem Dom.
Wir haben uns eine Treppe bauen lassen.
Diese liegt, brüderlich geteilt, zwischen den beiden Grundstücken Roßmarkt 13a
und 15, sieht so nett aus, dass wohl niemand auf die Idee kommen kann, sie sei
kommunaler Stadtplanung entsprungen und sie führt bergauf. Weil wir unsere
Häuser sonst nicht erreichen. Wir haben diese Treppe für uns gebaut. Und unsere
Besucher und Gäste. Das ist vielleicht ziemlich egoistisch, aber wir stehen
dazu. Und sie endet, unsere gemeinsame Treppe. Nämlich an meiner Mauer und, um
die Ecke, vor meiner Haus- bzw. Gartentür.
Fremdwort |
Da wir keine Zaun davorbauen wollten,
haben wir ein Schild angebracht. Mit einem einzelnen, aber eindeutigen, klaren,
gut lesbaren Wort: PRIVAT. Dem zivilisierten Menschen signalisiert dies: Nicht
öffentlich. Nicht für jeden. Nicht für alle, die zum Dom hochdackeln wollen.
Nur für die Menschen, die da wohnen und diejenigen, die die dort Hausenden besuchen wollen.
Das hindert aber im Tagesrhythmus Sandalenträger
in knielangen Hosen nicht daran, ebendieses Schild zu übersehen, vor unseren
Küchenfenstern zu stehen und die Hände an die Scheiben zu legen um
hineinzustarren. Oder mal auszuprobieren, ob die Tür zum Schuppen nicht vielleicht
doch einen Durchgang verbirgt. Zum Dom.
Zu doof zum Lesen, blind oder blöd, das
steht als Ursachen zur Debatte. Dachte ich bislang. Aber es gibt noch einen ganz
anderen Grund, durfte ich gestern erfahren.
Ich saß in meinem Büro bei geöffnetem
Fenster und hörte mal wieder das charakteristische Volksgemurmel zwischen „Guck
mal wer da sitzt“ (Hexe auf dem Sims bemerkt) über „Rossmarkt 15“ (steht am
Sims geschrieben, schön dass man lesen kann) bis zu „Da geht’s hoch zum Dom.“
(Aha…).
Doch dieses Mal hörte ich noch etwas
anderes. Eine recht schrille Frauenstimme verkündete: „Da steht ‚privat‘“. Schau an,
dachte ich. Nicht nur lesefähig sondern auch mit offenen Augen unterwegs. Ein seltenes Exemplar. Endlich mal jemand, der dafür sorgt, dass sich
alle anderen die Stufen sparen können.
Doch was dann folgte, war einfach nur
verblüffend und leider nicht unttypisch für die Dreistigkeit, mit der eine bestimmte Art von Touristen
kurzerhand alles vereinnahmt, was ihnen unter die Augen kommt. Frau
Schrillestimme gab nämlich einen Befehl. „Kommt alle. Privat oder nicht. Wir gehen heute trotzdem da lang.“
Das musste ich mir auschauen, begab mich
ans Fenster und tatsächlich marschierte die komplette, 40-köpfige Meute (Altersschnitt
ca 70) los, die Treppe hinauf, um dort oben empört ihrem Unmut Luft zu machen: „Da
geht’s ja einfach nicht weiter!“.
Wie unverschämt von uns. Wie konnten wir
es nur wagen, KEIN Tor in die Mauer zum Mühlberg zu bauen? An unserer ganz privaten Treppe.
Auf unserem ganz privaten Grundstück.
Des Rätels fette Beute |
Wen es nicht betrifft, der zuckt die
Achseln und findet es als Story lustig.
Ja, vielleicht. Beim ersten Mal. Und
beim zweiten. Aber wenn man täglich diese Hemmungslosigkeiten erleben muss, dann
ruft der bloße Anblick von Touristenhorden nur noch allergische Reaktionen
hervor.
Auf der anderen Seite gibt es dann aber
auch Momente, da sieht man, dass das alles auch ganz anders geht.
Am besagten Tag, nicht einmal eine Stunde
später, hörte ich wieder eine Gruppe, die wohl am Brunnen gelagert hatte. Ich
ging hinunter, um mir das mal genauer anzuschauen und fand ein gutes
Dutzend Gestalten mit Bierflaschen in den Händen, teils recht eindrucksvoll
tätowiert. Die Männer, nicht die Flaschen. Diese Besucher führten irgendein Rätselspiel durch. Der Kandidat
sollte mit einer 0,3er und einer 0,5er Flasche 0,4 l abfüllen, was er am
Brunnen mit fröhlicher Unterstützung der Kollegen und Zwischenstopps an der Bierflasche
auch schaffte. Die Runde war nicht leise und recht fröhlich und leerte ein paar
Flaschen. Doch statt diese einfach abzustellen, fragten sie mich, ob die sie
die Flaschen da lassen dürften. Ich hatte noch eine leere Kiste in der Garage,
die ich ihnen holte und kam so zu einer ganzen Reihe von Pfandflaschen.
Bestens gelaunt verabschiedete man sich und steuerte den nächsten Punkt der
Rätselrallye an.
Die Flaschenfüller und –leerer waren
alle gerade mal Anfang 20.
Auch wenn interessierte Kreise anderes verbreiten, sogar am Rossmarkt hat niemand aus Prinzip etwas
gegen Besucher der Altstadt. Solange man den Bewohnern der Häuser ein klein
wenig Respekt und Höflichkeit entgegenbringt, ist jeder willkommen.
Doch das scheint in vielen Fällen
einfach zu viel verlangt zu sein. Und zwar erschreckenderweise ausgerechnet bei
Menschen im gesetzten Alter, denen man immer wieder nachsagt (vor allem sie selbst tun
dies gerne…), dass sie noch eine „richtige“ Erziehung genossen hätten.
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