Montag, 15. Juli 2013

Privat? Was ist das?




Das schöne Wetter der letzten Tage bevölkert nun wieder Plätze und Gassen der Altstadt. Hatte der Anwohner vor Wochenfrist noch die Auswahl, wenn er einen Sitzplatz suchte, hat er nun Schwierigkeiten, überhaupt einen Stuhl zu finden, der nicht von einem der busweise ausgestoßenen Einen-Kaffee-in-zwei-Stunden-Trinker okkupiert ist. Der gemeine Halbtagstourist macht seine Aufwartung und begibt sich, so er nicht von einem der stadtführenden Wesen auf eine der inhaltlich und wegetechnisch sehr variablen Touren geleitet wird, gruppenweise auf die Suche. Nach dem Dom. 
Wir haben uns eine Treppe bauen lassen. Diese liegt, brüderlich geteilt, zwischen den beiden Grundstücken Roßmarkt 13a und 15, sieht so nett aus, dass wohl niemand auf die Idee kommen kann, sie sei kommunaler Stadtplanung entsprungen und sie führt bergauf. Weil wir unsere Häuser sonst nicht erreichen. Wir haben diese Treppe für uns gebaut. Und unsere Besucher und Gäste. Das ist vielleicht ziemlich egoistisch, aber wir stehen dazu. Und sie endet, unsere gemeinsame Treppe. Nämlich an meiner Mauer und, um die Ecke, vor meiner Haus- bzw. Gartentür.

Fremdwort
Da wir keine Zaun davorbauen wollten, haben wir ein Schild angebracht. Mit einem einzelnen, aber eindeutigen, klaren, gut lesbaren Wort: PRIVAT. Dem zivilisierten Menschen signalisiert dies: Nicht öffentlich. Nicht für jeden. Nicht für alle, die zum Dom hochdackeln wollen. Nur für die Menschen, die da wohnen und diejenigen, die die dort Hausenden besuchen wollen.

Das hindert aber im Tagesrhythmus Sandalenträger in knielangen Hosen nicht daran, ebendieses Schild zu übersehen, vor unseren Küchenfenstern zu stehen und die Hände an die Scheiben zu legen um hineinzustarren. Oder mal auszuprobieren, ob die Tür zum Schuppen nicht vielleicht doch einen Durchgang verbirgt. Zum Dom.

Zu doof zum Lesen, blind oder blöd, das steht als Ursachen zur Debatte. Dachte ich bislang. Aber es gibt noch einen ganz anderen Grund, durfte ich gestern erfahren.

Ich saß in meinem Büro bei geöffnetem Fenster und hörte mal wieder das charakteristische Volksgemurmel zwischen „Guck mal wer da sitzt“ (Hexe auf dem Sims bemerkt) über „Rossmarkt 15“ (steht am Sims geschrieben, schön dass man lesen kann) bis zu „Da geht’s hoch zum Dom.“ (Aha…).

Doch dieses Mal hörte ich noch etwas anderes. Eine recht schrille Frauenstimme verkündete: „Da steht ‚privat‘“. Schau an, dachte ich. Nicht nur lesefähig sondern auch mit offenen Augen unterwegs. Ein seltenes Exemplar. Endlich mal jemand, der dafür sorgt, dass sich alle anderen die Stufen sparen können.

Doch was dann folgte, war einfach nur verblüffend und leider nicht unttypisch für die Dreistigkeit, mit der eine bestimmte Art von Touristen kurzerhand alles vereinnahmt, was ihnen unter die Augen kommt. Frau Schrillestimme gab nämlich einen Befehl. „Kommt alle. Privat oder nicht. Wir gehen heute trotzdem da lang.“

Das musste ich mir auschauen, begab mich ans Fenster und tatsächlich marschierte die komplette, 40-köpfige Meute (Altersschnitt ca 70) los, die Treppe hinauf, um dort oben empört ihrem Unmut Luft zu machen: „Da geht’s ja einfach nicht weiter!“.

Wie unverschämt von uns. Wie konnten wir es nur wagen, KEIN Tor in die Mauer zum Mühlberg zu bauen? An unserer ganz privaten Treppe. Auf unserem ganz privaten Grundstück.

Des Rätels fette Beute
Wen es nicht betrifft, der zuckt die Achseln und findet es als Story lustig.

Ja, vielleicht. Beim ersten Mal. Und beim zweiten. Aber wenn man täglich diese Hemmungslosigkeiten erleben muss, dann ruft der bloße Anblick von Touristenhorden nur noch allergische Reaktionen hervor.

Auf der anderen Seite gibt es dann aber auch Momente, da sieht man, dass das alles auch ganz anders geht.

Am besagten Tag, nicht einmal eine Stunde später, hörte ich wieder eine Gruppe, die wohl am Brunnen gelagert hatte. Ich ging hinunter, um mir das mal genauer anzuschauen und fand ein gutes Dutzend Gestalten mit Bierflaschen in den Händen, teils recht eindrucksvoll tätowiert. Die Männer, nicht die Flaschen. Diese Besucher führten irgendein Rätselspiel durch. Der Kandidat sollte mit einer 0,3er und einer 0,5er Flasche 0,4 l abfüllen, was er am Brunnen mit fröhlicher Unterstützung der Kollegen und Zwischenstopps an der Bierflasche auch schaffte. Die Runde war nicht leise und recht fröhlich und leerte ein paar Flaschen. Doch statt diese einfach abzustellen, fragten sie mich, ob die sie die Flaschen da lassen dürften. Ich hatte noch eine leere Kiste in der Garage, die ich ihnen holte und kam so zu einer ganzen Reihe von Pfandflaschen. Bestens gelaunt verabschiedete man sich und steuerte den nächsten Punkt der Rätselrallye an.

Die Flaschenfüller und –leerer waren alle gerade mal Anfang 20.

Auch wenn interessierte Kreise anderes verbreiten, sogar am Rossmarkt hat niemand aus Prinzip etwas gegen Besucher der Altstadt. Solange man den Bewohnern der Häuser ein klein wenig Respekt und Höflichkeit entgegenbringt, ist jeder willkommen.

Doch das scheint in vielen Fällen einfach zu viel verlangt zu sein. Und zwar erschreckenderweise ausgerechnet bei Menschen im gesetzten Alter, denen man immer wieder nachsagt (vor allem sie selbst tun dies gerne…), dass sie noch eine „richtige“ Erziehung genossen hätten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen